Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Titel: Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
Vom Netzwerk:
hatten, von Schlachten, die so lange zurücklagen, dass kaum ein lebendiges Wesen sich noch an sie erinnerte, und sie begannen erneut von der Trauer der ersten Engel und Dämonen zu singen, die getrennt worden waren durch kaum mehr als ein Wort und einen Willen aus Finsternis. Sie durchdrangen Avartos, bis er nicht mehr wusste, ob er Schatten war oder Licht, und sie schickten Gelächter durch die Dämmerung. Zwei Stimmen waren es, Avartos erkannte sie aus Carmenyas Erzählung, und kurz sah er das Haus am See, in dem Hadros’ Geliebte Ranja mit ihrer Tochter gelebt hatte. Wieder hörte er den Ruf des Falken, rau klang er über den See. Ein Bild des Friedens war es, das ihn selbst ganz ruhig werden ließ.
    Kühl war der Windstoß an seiner Stirn, als er die Augen öffnete. Er fand sich am Rand des Sees wieder, er stand da wie zuvor, doch nun konnte er wahrhaftig sehen in der Dunkelheit. Die Feuer der Höhle waren erloschen. Sie glomm nun als schwarzer Kristall, die Schatten wirkten wie Tücher aus Seide oder schwarzem Haar, und dort, im Herz der Dunkelheit, erhob sich Hadros aus den Fluten. Sein Körper hatte sich geheilt, jede Schwäche, jeder Makel war von ihm gewichen. Stattdessen fiel seidenes Haar auf seine Schultern, die nackte Haut seines Oberkörpers glomm in samtenem Licht, und als sich die Schwingen aus dem Wasser hoben, leuchtete der Falke auf seiner Brust auf und schickte seinen Schrei in wilder Majestät über den See. Langsam öffnete der Engel die Augen. Sie waren gefüllt mit dem goldenen Wasser des Spiegels, der ihn neu geboren hatte. Blind waren sie noch immer, das konnte Avartos sehen, doch er erkannte sein eigenes Gesicht in ihrem Glanz und begriff, dass sie mehr sahen als alles, was er sich vorstellen konnte – mehr, als er ertragen würde. Es war ein Anblick vollendeter Schönheit und Einsamkeit.
    Er spürte die Berührung an seiner Hand wie das sachte Schlagen eines Schmetterlingsflügels und fuhr zusammen. Noemi stand neben ihm, sie hatte seine Hand genommen und schaute wortlos zu ihm auf, und er wandte den Blick nicht ab. Still wie ein Geheimnis verlor sich ihr Zorn, und sie sah ihn an, als würde sie ihn nicht länger verachten für das, was er getan hatte – als würde sie in diesem Moment am goldenen See etwas in ihm erkennen, das jede Gegenwehr erlöschen ließ. Er fühlte ihren Herzschlag an seinen Fingern, schwach hallte er in ihm wider. Und auch wenn er es kaum begreifen konnte, fühlte er es deutlich: In diesem Augenblick, da sie den strahlenden Krieger der Engel betrachteten und er ihren Blick erwiderte, gab es keinen Zwiespalt mehr zwischen ihnen, kein Missverstehen und keine Furcht. Gemeinsam waren sie in die Schatten hinabgestiegen. Sie hatten mit geschlossenen Augen nach dem Licht gesucht, und sie hatten es gefunden: das reine, unfassbare Gold der Ersten Stunde.

23
    Die Stille ruhte kühl auf Nandos Stirn, und noch ehe er die Augen aufschlug, wusste er, wo er sich befand. Die raue Decke der Pritsche kratzte unter seinen Händen, und die Kammer, in der er lag, war so klein, dass sie auch eine Gruft hätte sein können. Eine schwere Holztür verschloss sie, hinter der sich das Reich der Mönche erstreckte.
    Mühsam setzte Nando sich auf. Kaya schlief noch in der Geige, und auch er selbst fühlte sich wie gerädert. Hadros hatte keine Zeit verschwendet. Gleich nach seinem rätselhaften Bad in dem goldenen Spiegel hatte er sie hinauf zum Kloster geführt, und er hätte wohl noch in der vergangenen Nacht mit ihnen über ihre weiteren Schritte gesprochen, wenn Nando und Noemi nicht die Augen zugefallen wären. Nando erinnerte sich gut an den abschätzigen Blick des Engels, aber er hatte sich kaum mehr auf den Beinen halten können. Gerade noch hatte er es bis in diese Kammer geschafft, das dunkle Starren des Mönchs, der ihn durch die Dunkelheit geführt hatte, ignoriert und geschlafen, ehe dieser die Tür hinter sich geschlossen hatte.
    Er kam auf die Beine und entzündete die Fackel, die der Mönch ihm dagelassen hatte. Ihr Feuer war eine Ehrerbietung, und sie galt nicht ihm, das war klar. Die Brüder des Lichts hatten Hadros so respektvoll empfangen wie menschliche Mönche ihren Abt, und Nando spürte erneut die Ehrfurcht angesichts dieses Kriegers, die durch die Demut der Mönche noch verstärkt wurde. Selten hatte er eine so einnehmende Macht gefühlt wie die des Engels. Jede seiner Regungen schien bedachtsam und effektiv zu sein, und Nando sah ihn vor sich, erhaben und stolz

Weitere Kostenlose Bücher