Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
Wände waren unzerstörbare Mauern aus Gold, und ein kaltes Triumphgefühl ließ ihn inmitten dieses Glanzes landen. Da stand er nun, umgeben von einem Licht, das so hell war, als wäre es aus den Augen der Sphinx selbst geboren worden. Und war es das nicht? Er war der Teufelssohn, er trug die Macht des Ersten Gefallenen Engels in sich, niemand, niemand auf der Welt barg reineres Licht als er, und als er sich von außen betrachtete, wurde er gewahr, dass sich die Wüste, die ihn umschloss, in ein Meer aus Eis verwandelt hatte – jene Wüste, zu der er geworden war. Vor seinem inneren Auge sah er ein Gemälde von Gustave Doré. Es zeigte den Teufel, eingeschlossen in seinem See aus ewigem Frost, wie ihm Dante und Vergil in der Göttlichen Komödie begegnen, und kurz sah Nando sich selbst weit unten im tiefsten Punkt der Hölle. Eisblumen überzogen seine Haut, Raureif lag auf seinem Haar, und nur seine Augen glommen in goldenem Licht – einem Feuer, das die Welt in Brand setzen konnte.
Die Schreie der Menschen kamen von weit her. Sie waren nicht mehr als dumpfe Tatsachen der äußeren Welt, und doch riefen sie etwas in Nando dazu, sich nach ihnen umzudrehen, um sie noch einmal zu spüren: die Verzweiflung, den Schmerz und die Trauer angesichts der sterbenden Nephilim, die durch die Kälte des Lichts nur noch schwach zu ihm drangen. Instinktiv schwächte er die Kraft seines Oreymons, Wärme kehrte in seine Glieder zurück, aber ehe sie ihn fortzog aus dem Licht, brach Hadros’ Gesicht durch die Schleier. Der Engel schaute ihn aus seinen goldenen Spiegelaugen an, und Nando erwiderte seinen Blick. War es denn mehr als Furcht, die ihn aus dem Oreymon trieb? Hatte er nicht versprochen, den Weg bis hinab in die Hölle zu gehen, ganz gleich, was es ihn kosten würde? War er nicht immer schon mehr gewesen als … ein Mensch?
»Folge dem Licht«, raunte Hadros, und seine Stimme strich lindernd über Nandos Stirn. »Wehre dich nicht vor deiner eigenen Kraft. Du darfst deinen Oreymon nicht verlassen, wenn du die Wüste bereisen willst. Wehre dich nicht länger vor dem Weg, der dir zu Füßen liegt. Ergib dich, Prinz der Hölle.«
Und Nando tat es. Stöhnend erstickte er den Drang, der Wärme aus der Kälte des Lichts folgen zu wollen, grub die Finger tief in die Eisschicht und hörte, wie sie auseinanderbrach, dröhnend und grollend, als hätte sie seit Ewigkeiten seinen Körper umschlossen. Kristallen brachen die Splitter von ihm ab, als er sich aus dem gefrorenen Meer erhob, und sie wurden zu silbernem Sand, als er vor Hadros stehen blieb. Schemenhaft bemerkte er die Leiber der Geister, die zu farbigem Rauch zerbrachen, doch sie interessierten ihn nicht mehr.
Der Engel nickte unmerklich. »Du lernst schnell«, sagte er und etwas wie Achtung flammte durch seinen Blick. »Doch dein Weg hat gerade erst begonnen.«
Nando spürte den Frost des Oreymons tief in seiner Brust. Er würde ihn bis zum Ende seiner Reise nicht mehr verlassen. Die Wüste verschwamm um ihn herum, und er fand sich im Kampfsaal des Klosters wieder. Hadros stand ihm gegenüber, das Sandkorn schwebte vor ihnen in der Luft. Nacheinander erloschen die Fackeln ringsum und schwärzten den Raum wie Tinte.
»Du solltest dich ausruhen«, sagte Hadros. »Du wirst deine Kraft brauchen. Morgen früh brechen wir auf.«
In Hadros’ Blick sah er kurz seine eigenen goldenen Augen, und erstmals schien es ihm, als wären sie mehr als Maskerade. Nie zuvor hatte er sein Gesicht so vollkommen regungslos gesehen. Dann schlossen sich Hadros’ Finger um das Sandkorn. Ein letztes Mal tanzten die Funken über Nandos Gesicht.
Dann wurde es dunkel.
26
Schwache Lichtschleier glitten durch das schwarze Glas des Fensters, dass es schien, als würden Sonnenstrahlen hindurchfallen. Avartos fixierte sie mit seinem Blick, aber sie verströmten keine Wärme, und er schüttelte über sich selbst den Kopf. Da saß er nun auf einer verfluchten Pritsche im Kloster der Mönche und erwartete, ausgerechnet hier die Kraft der Sonne zu finden, obwohl er wusste, dass sie nicht für die Kälte seines Volkes geschaffen worden war. Immer schon war sie ihr Gegensatz gewesen, die Sonne in ihrer ewigen Glut, und zugleich Sehnsuchtsziel jedes Engels. Sogar die Brüder des Lichts ahmten sie nach, hier in ihren düsteren Hallen, in die sich kein Funken wahrer Hitze jemals verirren würde. Avartos schob seine Dolche zurück in ihre Halfter. In wenigen Stunden würden sie ihre Reise fortsetzen. Er
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