Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
weißen Kern zu gelangen, der inmitten des Glanzes loderte. Prickelnd glitten die Funken über sein Gesicht, die Feuerfarben verloren sich, und nun war alles weiß um ihn herum. Die höhere Magie durchströmte ihn mit sanfter Glut, er ließ sie um seine Finger tanzen wie Flammen. Lange hatte er sich vor ihrer Macht gefürchtet, und nun beherrschte er sie, als wäre sie nicht mehr als eine Melodie, die er hatte begreifen müssen.
Erschafft einen Raum aus eurer Magie , fuhr Avartos fort. Formt sie zu einem Palast oder einem einfachen Zimmer, und begebt euch in seine Mitte.
Nando breitete leicht die Arme aus. Er wusste, dass er noch immer neben Noemi in dem kleinen Boot saß, und doch schwebte er in Gedanken inmitten seines weißen Feuers. Und seine Gedanken waren es, die das Licht bündelten, Wände erschufen und einen unebenen Boden, und kaum dass er inmitten eines kargen Zimmers innehielt, erklang Avartos’ Stimme erneut.
Macht diesen Raum durchlässig für euch, aber nicht für die äußere Welt.
Vorsichtig berührte Nando den Boden. Feine Blitzlichter zogen sich von seinen Fingern darüber hin und die Wände hinauf. Nur für einen Moment sah er die äußere Welt, sah sich selbst mit geschlossenen Augen in dem Boot sitzen und meinte, ein Fenster in seiner Stirn geöffnet zu haben, aus dem er in die Welt schaute und gleichzeitig vom Licht seines Zimmers umgeben war. Gleich darauf wurden die Wände wieder weiß und undurchsichtig.
Und jetzt , raunte Avartos kaum hörbar, verbannt jeden Schatten.
Nando zog die Brauen zusammen. Das Licht, das ihn umgab, war so hell, dass es ihn blendete, doch gerade als er erwidern wollte, dass es keinen Schatten gab in seinem Raum, fühlte er in der äußeren Welt die Hand des Engels in seinem Nacken. Im nächsten Moment schoss ein Funke durch seine Gedanken, so hell, dass es schmerzte. Instinktiv fuhr Nando zurück, aber der Funke hielt dicht vor ihm inne. Er war golden und silbern zugleich, und als Nando sich nicht abwandte, obgleich das Licht ihm wehtat, loderte es auf. Es erhellte das Zimmer, und da sah Nando die grauen Schleier, die sich durch seine Wände zogen, durch den Boden und die Decke. Er kniff die Augen zusammen und erkannte, dass dieser seltsame Raum in seinem Kopf aus fließenden Wellen bestand, die so aufgewühlt waren, dass sie den Eindruck von Schatten vermittelten. Erschrocken griff er sich an die Kehle, als würde er sich tatsächlich unter Wasser befinden.
Hört auf, erschrocken zu sein , fuhr Avartos fort. Hört auf, ängstlich zu sein oder berauscht oder beunruhigt. Diese Gefühle lenken euch ab. Sie verklären euren Blick. Sie mildern das Licht. Für sie ist in diesem Raum kein Platz. Hört auf, mit dem Herzen eines Menschen zu denken. Schafft wahres Licht!
Der Funke begann zu flackern, es schien Nando, als würde der kalte Glanz über ihn lachen. Schnell schloss er die Augen und drängte die Empfindungen zurück. Oft genug hatte Avartos ihm diese Übung gezeigt: zu schweben, regungslos, die Gedanken wie bei einer Meditation durch sich hindurchfließen zu lassen, ohne sie festzuhalten. Nando legte den Kopf ein wenig zurück. Er löste sich von der Außenwelt ebenso wie von dem grellen Schein in seinem Inneren und spürte, wie all jene Empfindungen, die ihn aufwühlten, im kühlen Glanz des Engelsfunkens erloschen. Als er die Augen öffnete und sich in seinem Zimmer wiederfand, war da kein Funken mehr und kein Schatten. Alles, was Nando sah, war das Licht.
Es war, als würden sich Lanzen aus Helligkeit in seinen Schädel bohren, und gleichzeitig konnte er sich nicht abwenden, noch nicht einmal blinzeln. Zu vollkommen war der Glanz, der ihn umgab, zu kristallen und klar, als dass er ihm entkommen wollte, und als er die Arme ausbreitete und das Licht seinen Körper umschmeichelte, betrachtete er sich von außen. Ein Mensch war er, ein Engel, ein Dämon – es war ganz gleichgültig, denn dieses Licht glitt über ihn hinweg, durchdrang ihn und formte seinen Leib nach – es war, als würde er von ihm neu erschaffen. Er hatte seinen Oreymon errichtet, er war der hellste Punkt inmitten dieses Glanzes, und er schwebte in dem gleißenden Licht, bis er nichts mehr wahrnahm als eine ruhige, kalte Stille. Sie erfüllte ihn ganz und sie ließ die Unruhe, die seit Wochen hinter seiner Stirn brannte, langsam verstummen.
Die Stimme des Engels drang zu ihm wie in einen Traum. Streckt eure Hände in der äußeren Welt aus , sagte Avartos. Und ganz gleich, was
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