Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
Licht auf, Nando konnte sehen, dass alles in ihr dieser Kraft zuwiderlief. Gleich würde sie schwanken, sie würde zu zittern beginnen, und dann würde der Schein um sie herum zusammenbrechen, und die Königin würde Noemi als das erkennen, was sie war: eine Dämonin, ein Mensch, ein Nephilim. Nando hörte Silas’ Stimme in seinen Gedanken, und ihn durchströmte noch einmal die Gewissheit, mit Noemi verbunden zu sein – jetzt und für immer. Erschrocken hob sie den Blick. Sie begriff sofort, was er vorhatte, und er lächelte unmerklich, wie er es damals auf der Brücke getan hatte, allen Flüchen zum Trotz. Dann streckte er die Hände aus und presste sie fest auf das Auge der Dämmerung.
Lichtströme flossen über seine Finger, sie fraßen sich in seine Haut, so kalt waren sie, doch er gab keinen Laut von sich. Mit aller Macht rief er die Kraft seines Oreymons. Dessen Frost ließ ihn Atem holen, und er sah zu, wie das Licht um ihn her die Farbe wechselte, wie es sich aufbäumte und ihn umschmeichelte, nur um dann mit greller Intensität in ihn einzudringen. Der Schein brach durch seine Haut, und als die Wände seines Raumes vereisten, tauchten Bilder aus der Helligkeit. Ein Schloss in einer fernen Wüste, umgeben von grünem und schwarzem Sand, die Zinnen zerbrochen und dem Verfall anheimgegeben. Dunkles Haar, blutig und im Wind wehend, es war ein grausamer Wind, mehr noch: ein Sturm. Nackte Füße auf eisigen Scherben, die Haut zerrissen, das Fleisch roh und wund, und dann eine bleiche, beinahe zarte Hand, die das Zepter der Sonne ergriff. Kalt fühlte Nando das Metall an seiner Haut, und noch während er das Licht seines Oreymons verstärkte, begriff er, dass es die Erinnerungen der Königin waren, die er durchlitt. Die Winde Pharlaghons trafen seine Haut, und dann jagte er über die Hügel Bhrakanthos’ dahin, mitten hinein in die Schlacht zwischen Engeln und Dämonen vor den Toren des Höllenfürsten. Anlorya hatte sich den Schatten entgegengestellt, doch dafür war sie in ihre eigene Finsternis hinabgestiegen, und Nando fühlte, wie ihr Schmerz darüber ihn fluten wollte. Eilig verstärkte er seinen Oreymon, er wusste, dass die Gefühle eines Engels ihn zerreißen würden in ihrer Heftigkeit. In Anloryas Leib hob er das Schwert gegen die Schergen der Hölle und fuhr nicht zurück, als der Fürst selbst inmitten der Krieger auftauchte – Luzifer, die mächtigen Schwingen zu goldenem Feuer entflammt.
Anloryas Zorn brach in Nando auf angesichts dieses Erzfeindes aller Engel, und als der Teufel den Blick auf ihn richtete, schien es ihm, als wäre es mehr als eine Erinnerung – als wäre Luzifer tatsächlich da. Der Blick des Höllenfürsten durchdrang jede Illusion, übermächtig fühlte Nando die Glut seiner Augen auf der Haut, und er hörte wieder die Dunkelheit der Hölle, die lockend nach ihm rief. Anloryas Zorn schnitt grausam in sein Fleisch, und kurz überkam ihn der Drang, den Schatten entgegenzueilen, ihnen zu antworten wie bei dem Spiel auf der Geige. Doch er hatte seinen Sturz in die Finsternis nicht vergessen. Entschlossen ließ er das Licht des Oreymons aufbranden, es fraß den Zorn der Königin und die Stimmen der Schatten, bis sie nicht mehr waren als belangloses Rauschen. Schmerzhaft durchpulste ihn die Kälte, aber er milderte seinen Glanz nicht, und als er Luzifers Blick erwiderte, erkannte er ein unruhiges Flackern in dessen Augen. In diesem Moment, daran gab es keinen Zweifel, sah der Teufel ihn direkt an.
Der Weg des Lichts ist nicht dein Weg, raunte Luzifer in seinen Gedanken. Er wird dich nicht retten, ganz im Gegenteil, denn deine Bestimmung ist die Nacht!
Nando genoss die Gleichgültigkeit des Lichts, die ihn unverwundbar machte. Dann lächelte er, es war ein Lächeln aus Eis. Mein Weg, erwiderte er fast lautlos, liegt jenseits von dir. Mein Weg liegt auf den Bahnen des Lichts, das du niemals begreifen wirst. Du wirst mich nicht fallen sehen, Fürst der Schatten – niemals!
Der Teufel sah ihn an, für einen Moment flammte etwas Seltsames über sein Gesicht, etwas wie Trauer. Dann zerbrach die Illusion, und kaum dass das Licht um Nando herum verblasste, fand er sich vor dem Auge der Dämmerung wieder. Ein Engel sah ihn an, das Gesicht nicht mehr als eine Maske aus Eis, und er brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dass er es selbst war. Langsam nahm er die Hände vom Stein und zwang sich, nicht zu zittern. Okaryn war wieder schwarz und kühl.
Noemi sah ihn forschend an,
Weitere Kostenlose Bücher