Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
diffusen Schattentanz verwandelte. In für uneingeweihte Augen nicht zu durchschauender Ordnung gruppierten sich mehrere Polstersessel um einen schweren Schreibtisch in der Mitte des Zimmers, und ringsherum an den Wänden, auf schwankenden Türmen, überladenen Regalen und windschiefen Anrichten, stapelten sich uralte Bücher. Es waren so viele, dass es schien, als wären die Gänge in die anderen Zimmer durch sie hindurchgegraben worden. Zwischen ihnen, vereinzelt von spärlichem Fackelschein erhellt, hingen zahlreiche magische Waffen der Garde.
»Ganz schön dunkel hier«, bemerkte Kaya und blinzelte.
Avartos nickte unmerklich. Auch er brauchte stets eine Weile, um sich an das Zwielicht dieses Ortes zu gewöhnen. Immer schon war es ihm so vorgekommen, als wären diese Räume die dunkelsten Orte Nhor’ Kharadhins. »Es ist wegen der Bücher«, erwiderte er, und er hörte die Stimme des Weißen Kriegers in diesen Worten widerklingen. »Mein Vater erklärte es so: Bücher sind vergänglich im Gegensatz zu uns, und sie sind schwach. Sie ertragen den Glanz der Sonne nicht. «
Noemi lachte spöttisch. Das Grün ihrer Augen brach durch die goldene Maske. »Das scheint der Richtige gesagt zu haben. Wie kann ein Krieger des Lichts an einem Ort wie diesem leben, der finsterer ist als der Folterkeller eines Nekromanten in Katnan?«
Sie stand in einer düsteren Ecke vor einer Reihe unterschiedlicher Waffen. Avartos wusste, dass sie sich problemlos in der Dunkelheit zurechtfand, und doch verwunderte es ihn immer wieder, mit welcher Furchtlosigkeit sie sich mitten hineinbegab, ohne zu wissen, was darin lauerte. Nachdenklich wandte er sich ab. Er konnte ihre Frage nicht beantworten, auch wenn er sie sich schon oft selbst gestellt hatte. Aber aus irgendeinem Grund musste er auf einmal daran denken, wie er früher stundenlang den Schattentänzen zwischen den Bücherstapeln zugesehen hatte. Schon damals hatten sie den lichtgeplagten Augen einen Moment der Ruhe gewährt, und auch jetzt zogen sie seinen Blick magisch an.
»Seht euch das an«, flüsterte Nando und betrachtete fasziniert die Schwerter, die inmitten all der Bücher, der magischen Peitschen, funkelnden Dolche und kunstvoll verzierten Bogen hingen. Avartos trat näher, als Nando vor einem Frostsäbel stehen blieb.
»Diese Waffe führte mein Vater in der Schlacht gegen einen mächtigen Dämon des hohen Nordens«, sagte er und bewegte die Finger über der Klinge. Knisternd glommen Eisblumen darauf, die sich zu Figuren formten – zwei Armeen, die sich aufeinanderstürzten. Nando hob bewundernd die Brauen, als der Geruch von glühendem Metall und dumpfes Schlachtengebrüll aus der Waffe drang. Eine Gestalt war heller als all die anderen. Sie stellte sich einem finsteren Dämon entgegen und warf ihn mit weißem Licht zu Boden.
»Er hat ihn bezwungen«, raunte Nando ehrfürchtig, als das Bild auf der Klinge langsam erlosch.
»Ja«, erwiderte Avartos. »Der Weiße Krieger hat noch nie einen Kampf verloren.«
Kaya betrachtete ihn prüfend, als hätte sie die Bitterkeit gehört, die in seinen Worten mitklang. Insgeheim stieß Avartos einen Fluch aus. Er spürte, wie die Kraft des Laskantins nachließ, und mit ihr verschwand auch die Gelassenheit, die ihn vor dem durchdringenden Blick der Dschinniya schützte. Zur Hölle, wieso hatte er sich keine größere Ration in die Adern gejagt? War es nun schon so weit gekommen, dass ein purpurfarbenes Äffchen ihn durchschauen konnte, als wäre er ein zitterndes Menschenkind? Er warf Kaya einen Blick zu in der Erwartung, einen Kommentar von ihr zu hören, doch sie sagte kein Wort. Stattdessen lächelte sie unmerklich. Natürlich wusste er, dass sie weit mehr war als ein purpurfarbener Winzling. Sie entstammte dem Volk der Avontari, lange Jahre hatte sie mit Yrphramar in der Einsamkeit einer fremden Welt verbracht, und unter ihrem schweigenden Blick erinnerte Avartos sich plötzlich daran, was sie zu Nando über die Sehnsuchtswesen gesagt hatte. Sie haben eine Ruhelosigkeit in sich , hatte Kaya gesagt, eine Einsamkeit, die niemals ganz verschwindet, und damit sind sie mir in meinem tiefsten Inneren verwandt. Denn auch ein Dschinn wird niemals ganz irgendwo zu Hause sein, denn wir sind Geschöpfe der Luft, der Erde, des Feuers oder des Wassers, und wir sind wandelbar, frei und heimatlos. Noch immer lächelte sie, und Avartos schien es, als würde sie die Worte von damals in diesem Augenblick zu ihm selbst sprechen. Ich habe deine
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