Die Chroniken des Paladins 01. Tharador - Bellem, S: Chroniken des Paladins 1 Tharador
zuckte sie die Schultern und kramte in ihrem Rucksack, bis sie eine kleine Phiole mit einer bläulich schimmernden Flüssigkeit daraus hervorzauberte. »Hier«, sagte sie und reichte dem Krieger das Fläschchen.
»Interessant«, bemerkte Dergeron. »Ich hätte nicht erwartet, einen Heiltrank in den Händen einer Diebin zu sehen.«
Ihre Augen weiteten sich: »Ein Heiltrank?«
»Ganz recht«, fuhr Dergeron fort. »Ich verdanke mein Leben einem solchen Trank. Sie scheinen sehr selten zu sein. Graf Totenfels erzählte mir, dass er beinahe sein gesamtes Gold für einen Heiltrank geopfert hatte, der seine Gemahlin retten sollte ...« Dergeron stutzte, als ihm die Bedeutung seiner Worte klar wurde. »Hat dieser Trank möglicherweise etwas mit deinem Aufbruch aus Totenfels zu tun?«
Sie erwiderte nichts, doch ihr Blick verriet ihm alles, was er wissen musste.
»Dann ist Calissa mehr als eine Taschendiebin, nicht wahr?«
Sie nickte langsam. Dergeron erkannte, dass in ihr ein Kampf tobte. Ein Teil von ihr wollte die Flucht ergreifen und sich in Sicherheit bringen, ein anderer vertraute ihm und wartete auf seine weitere Reaktion.
»Nun, wenn der Graf leichtsinnig genug war, einen solch wertvollen Gegenstand so aufzubewahren, dass er leicht gestohlen werden kann, dann ...«
»Leicht?«, erboste sich die Diebin. »Es war alles andere als leicht, an den Trank und die Kette zu ...« Hastig biss sie sich auf die Lippe.
»Kette?«, fragte Dergeron und begann, die volle Tragweite seiner Entdeckung zu begreifen. Er senkte die Stimme und flüsterte ihr zu: »Sag nicht, dass du auch die Kette der toten Gräfin gestohlen hast.«
Calissa nickte stumm.
Dergeron pfiff leise durch die Zähne. »Erstaunlich.«
»Wirst du mich nun verraten?«, fragte sie eher neugierig denn besorgt.
Dergeron packte sie an den Armen, zog sie an sich und küsste sie. Er wusste in diesem Augenblick nicht einmal, weshalb er es tat, doch die Anspannung der letzten Tage entlud sich in diesem leidenschaftlichen Kuss, den sie nicht minder feurig erwiderte.
Die beiden sanken auf ihr Lager hinab, zerrten sich ungestüm die Kleider vom Leib. Im hintersten Winkel seines Geistes war Dergeron sich des bizarren Schattenspiels bewusst, das ihre nackten Körper an die Zeltplane warfen, doch es kümmerte ihn nicht. Er versank in ihrer Umarmung, dem Duft ihrer Haare. Seine Finger befühlten ihre weiche Haut, und er genoss es, ihren Körper an dem seinem zu spüren.
Vor ihnen breitete sich Berenth aus, die größte Stadt im ganzen Land nördlich der Todfelsen. Berenth lag am Delta des Berentir, und es gab hier viele Felder, auf denen Feuchtweizen angebaut wurde, eine Getreidesorte, aus der man zwar kein Mehl, aber einen salzigen Brei herstellen konnte. Dieser Brei war äußerst nahrhaft, und Berenth trieb regen Handel damit. So hatte die Stadt einen Großteil ihres Wohlstands erworben.
Die Stadt selbst bestand aus einem alten Kern und mehreren Randvierteln. Die reichen Händler wohnten auf einem Hügel östlich der Stadt, während das ärmere Volk sich in notdürftigen Baracken südlich der Altstadt tummelte. Berenth bot einen absonderlichen Anblick, ansehnlich und abstoßend zugleich. Dergeron hatte selten so viel Armut und Reichtum auf so engem Raum gesehen wie hier.
Als Königspalast diente eine alte Kathedrale des Ersten Gottes Alghor, die man umgebaut hatte. Die Türme leuchteten golden im Sonnenlicht. Vielleicht waren sie sogar wirklich mit Gold überzogen, aus der Ferne war es nicht mit Sicherheit festzustellen.
Der Krieger hörte das Rauschen des Meeres und schmeckte förmlich dessen Salz im Wind. Im Westen der Stadt befanden sich riesige Hafenanlagen; Dergeron sah unzählige Masten in den Himmel aufragen.
Rasch löste er sich wieder von dem Anblick und richtete die Gedanken auf das, was ihn hier erwarten würde. Er musste unbedingt mit König Jorgan sprechen und ihn davon überzeugen, ihm bei der Suche nach Tharador behilflich zu sein.
Ungehindert passierten sie das Stadttor, was Dergeron erstaunte – in Totenfels hatte man ihn dort bereits abgefangen und befragt. In Berenth schienen die Leute etwas unachtsamer zu sein, und das, obwohl der König selbst in der Stadt residierte.
Der Krieger lag jedoch mit seiner Vermutung falsch, denn er musste feststellen, dass sie soeben lediglich die Mauern des äußeren Stadtrings hinter sich gelassen hatten. Bereits von hier aus konnte man das nächste Tor erblicken, das weit besser bewacht wurde als das erste.
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