Die Chroniken von Amarid 02 - Der Kristall der Macht
hatten. »Wir sollten jetzt schlafen«, empfahl er. »Es ist zwar klar, dass Sartol Amarid vor uns erreichen wird, aber wir wollen ihm lieber nicht zu viel Zeit lassen, um die Große Halle mit seinen Lügen zu überfluten.«
Die anderen erhoben sich langsam. Offensichtlich waren sie ebenso erschöpft wie der Eulenmeister. Baden, Trahn und Orris ließen sich direkt am Feuer nieder, während Jaryd und Alayna ein paar Schritte entfernt ein wenig Abgeschiedenheit suchten. Aber obwohl Baden sehr müde war, hielten ihn die Gedanken, die durch seinen Kopf wirbelten, weiterhin vom Schlafen ab. Er kämpfte einige Zeit dagegen an, begriff aber schließlich, dass er nicht gewinnen konnte, und drehte sich auf den Rücken, um in die Nacht zu starren.
Sartol hatte inzwischen wahrscheinlich Tobyns Wald erreicht, überlegte er. Er würde dann innerhalb von fünf Tagen in Amarid sein. Was würde er tun? Der Eulenmeister hatte ungeheure Macht und war ausgesprochen klug. Aber in vielerlei Weise war das ihre geringste Sorge. Bei all seiner Kraft und Durchtriebenheit war er nur ein einzelner Mann. Wenn Baden und seine Freunde den Orden von seinem Verrat überzeugen konnten, würden sie ihn besiegen können.
Sartols Verbündete allerdings waren etwas anderes. »Dies ist eine Art von Feind, der der Orden noch nie gegenübergestanden hat«, hatte Theron den jungen Magiern gesagt. »Der Orden wird sich anpassen müssen. Er wird sich verändern müssen.«
Oder er wird vernichtet werden, beendete Baden diesen Gedanken. Jaryd und Alayna hatten nicht angedeutet, dass der unbehauste Eulenmeister seine Warnung auf diese Weise abgeschlossen hatte. Aber es war im Grunde unmissverständlich. Und Baden wusste, dass Tobyn-Ser sich ohne den Orden nicht gegen die Fremden verteidigen konnte. Das war schließlich der Zweck hinter den Angriffen, der Grund all dieses Unheils, dieses Vandalismus, der schließlich auch vor Mord nicht Halt gemacht hatte. Wer immer die Angriffe geplant hatte, wusste genug über Tobyn-Ser, um zu erkennen, dass als Erstes der Orden zerstört werden musste. Also hatten sie sich darum gekümmert, dass der Orden bei den Menschen des Landes wenig oder gar keine Unterstützung mehr finden würde. Das war eindeutig die Strategie dieser »Magier« aus Lon-Ser, und sie war beunruhigend tückisch. Aber was steckte dahinter? Die Invasionen von Abboriji aus waren einfach zu deuten gewesen. Es ging um Territorium, nicht mehr und nicht weniger. Und es war durchaus möglich, dass diese neueste Gefahr auf das gleiche Bedürfnis, nämlich Land zu erobern, zurückzuführen war. Aber Baden glaubte, dass mehr dahinter steckte. Die Schlauheit und Gnadenlosigkeit dieser Invasion - oder um genauer zu sein, dieser Infiltration - kündete von einem finsteren Zweck. Der Eulenmeister hatte keine Ahnung, worum es gehen mochte, nur ein intensives, wenn auch vages Gefühl, dass viel mehr als Tobyn-Sers Territorium auf dem Spiel stand. Bei diesem Krieg, wenn es denn ein Krieg war, würde es um die Existenz ihres Landes gehen. Er begriff auch, dass der Orden, wenn er weiter bestehen wollte, jüngere Führer brauchte. Odinan und Niall und die anderen älteren Meister waren zu sehr gegen Veränderungen. Unter ihrer Führung würde der Orden versagen, und Tobyn-Ser wäre verloren. Selbst Jessamyn wäre nicht geeignet gewesen, den Orden während dieses Konflikts zu führen. Es quälte ihn, das zugeben zu müssen, aber er wusste, dass es stimmte. Das hatte auch Theron zu sagen versucht. Und das war es, was Baden den Eulenmeistern klar machen musste, wenn es darum ging, einen Nachfolger für Jessamyn zu wählen.
Er holte tief Luft. Es war spät. Das Feuer war niedergebrannt, und die anderen Magier waren längst eingeschlafen. Leoras endloser Tanz hatte sie höher in den Nachthimmel geführt, und Lon und Tobyn standen nun unterhalb von ihr, einer nach Westen, der andere nach Osten gewandt.
6
J aryd stand auf einem Felsvorsprung in den Parnesheim- Bergen und schaute auf die Stadt Amarid hinab. Die Sonne wärmte ihm den Rücken, kühler Wind zerzauste sein Haar. Als er das letzte Mal von genau diesem Aussichtspunkt das präzise Weiß und Grau der Heimat des Ersten Magiers erblickt hatte, nachdem er und Baden ihre lange Reise von Accalia in die große Stadt hinter sich gebracht hatten, war er noch Schüler gewesen, weit von seinem Zuhause und seiner Familie entfernt, und schon der Gedanke, bald seine erste Magierversammlung erleben und die mächtigsten Männer
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