Die Chroniken von Araluen - Der große Heiler: Band 9 (German Edition)
leichtes Ziel, aber die Anordnung erlaubte es ihnen, sich notfalls gegenseitig zu unterstützen.
Will lenkte Reißer nach links, während Horace nach rechts bog. Walt blieb in der Mitte. Sie ritten schweigend etwa eine Stunde lang weiter. Dann stieß Walt unvermittelt einen Pfiff aus und legte die zur Faust geballte Hand auf den Kopf. Das war das Feldsignal für »Komm zu mir«.
Will fragte sich zwar warum, aber natürlich lenkte er Reißer wieder zu Walt, der schon auf ihn wartete. Horace stieß kurz darauf zu ihnen, und Will fragte: »Was ist?«
Walt sah ihn verblüfft an. »Was soll sein?«
Jetzt schrillten endgültig die Alarmglocken bei Will.
»Walt, du hast vor etwa einer Stunde vorgeschlagen, in Kampfformation zu reiten. Jetzt hast du uns zu dir gerufen. Was ist los?«
»Ach so!« Walt grinste. »Ich dachte nur, wir könnten wieder eine Weile zusammen reiten. Ich hab mich wohl irgendwie … einsam gefühlt.«
»Einsam?«, wiederholte Horace verdattert. »Walt, was …«
Will gab Horace rasch ein Handzeichen und sein Freund brach ab.
Will lenkte Reißer näher zu Abelard, beugte sich zu Walt und betrachtete sein Gesicht und seine Augen. Er kam ihm etwas blass vor. Die Augen konnte er nicht genau sehen, da die Kapuze sie verbarg.
Abelard trat unruhig auf der Stelle. Er stieß ein tiefes Brummen aus. Wills Nähe konnte kaum der Grund dafür sein, dafür kannten sie sich schon zu lange. Es gab nur eine Erklärung: Das Pferd spürte, dass mit Walt etwas nicht stimmte.
»Walt, bitte schau mich an. Zeig mir deine Augen«, bat Will.
Walt funkelte ihn böse an und drängte Abelard von ihm weg.
»Meine Augen? Es ist alles in Ordnung mit meinen Augen! Bedräng mich nicht so! Du machst Abelard nervös!« Unbewusst rieb er sich den Unterarm.
»Wie geht es dem Arm?«, fragte Will ruhig.
»Bestens!«, blaffte ihn Walt an, und wieder tänzelte Abelard nervös.
»Ich dachte nur, weil du ihn reibst«, sagte Will beschwichtigend.
»Na und?«, knurrte Walt gereizt. »Er tut eben weh. Krieg du mal den Bolzen einer Armbrust ab, dann weißt du, wie sich das anfühlt! Sollen wir jetzt den ganzen Tag herumtrödeln, über meine Augen und meinen Arm reden und mein Pferd nervös machen? Hör endlich auf, Abelard!«, fuhr er das Tier an.
Will blieb der Mund offen stehen. Niemals in all der Zeit, die er mit Walt verbracht hatte, hatte Walt je die Stimme gegen Abelard erhoben. Waldläufer taten das einfach nicht mit ihren Pferden.
»Walt«, begann er, doch der ließ ihn nicht ausreden.
»Denn während wir hier Zeit vergeuden, können Farrell und seine Kumpane entkommen!«
»Farrell?« Diesmal war es Horace, der besorgt nachfragte. »Walt, wir sind hinter Tennyson her, nicht hinter Farrell. Farrell war der Anführer der Erwählten in Selsey!«
Der junge Ritter hatte recht. Farrell und seine kleine Anhängerschar in dem kleinen abgelegenen Fischerdorf an der Westküste von Araluen hatten Walt überhaupt erst auf das Treiben der Erwählten in Hibernia aufmerksam gemacht.
Walt sah Horace böse an. »Das weiß ich! Denkst du vielleicht, ich weiß das nicht? Denkst du, ich bin verrückt?«
Es herrschte einen Augenblick lang Schweigen. Weder Will noch Horace wussten, was sie sagen sollten. Walt sah wütend von einem zum anderen.
»Na, was ist?«, rief er. Als keiner von beiden antwortete, zerrte er grob an Abelards Zügel und ließ ihn antraben.
Nach Westen.
»Will, was ist bloß los?«, fragte Horace, als er zusah, wie Walt in die falsche Richtung ritt.
»Ich weiß auch nicht. Aber ich weiß, dass es gar nicht gut aussieht«, antwortete Will und ritt Abelard hinterher.
»Walt!«, rief er. »Komm zurück!«
Horace folgte den beiden etwas ratlos.
Walt drehte sich nicht zu ihnen um, doch sie hörten ihn rufen.
»Jetzt kommt endlich! Wir verlieren Zeit und die Temujai holen uns gleich ein!«
»Temujai?«, wiederholte Horace. »Die Temujai sind Tausende von Meilen entfernt!«
Will schüttelte traurig den Kopf und drängte Reißer dazu, schneller zu werden.
»Nicht in seinem Kopf«, stellte er grimmig fest. Ihn beschlich
eine schlimme Ahnung. Etwas hatte Walt dazu gebracht, jeden Bezug zur Realität zu verlieren. Er sah Feinde und Ereignisse aus der Vergangenheit. In seinem Geist wirbelte alles wild durcheinander.
»Walt! Warte auf mich!«, rief er.
Er ließ Reißer losgaloppieren, da sah er plötzlich, wie Walt die Arme in die Luft warf, einen erstickten Schrei ausstieß, aus dem Sattel kippte und auf die Erde
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