Die Chroniken von Araluen - Der Krieger der Nacht: Band 5 (German Edition)
Kleidung ging, kümmerte es sie nicht.
Und ganz sicher wäre es keine gute Idee, zu viel Neugierde am Kommen und Gehen des Musikanten Will Barton zu zeigen. Er stand im Rang weit unter ihr.
»Verdammt!«, sagte sie und schlug mit der Hand in einer sehr undamenhaften Weise auf den Beistelltisch. Da kam ihr ein Gedanke. Sie selbst durfte sich nicht allzu weit vorwagen, aber für ihre Dienstboten traf das nicht zu. Entschlossen stand sie auf und ging zur Tür, die in den Vorraum führte.
Ihre beiden Zofen unterhielten sich leise, während sie einen Stoß frisch geplätteter Wäsche falteten und wegpackten. Max saß in einer Ecke über eine Schriftrolle gebeugt.
Alle drei sahen überrascht auf und erhoben sich, als sie so unvermittelt eintrat. Der Vorraum war ein Innenraum ohne Fenster, sodass sie von den Ereignissen im Hof nichts mitbekommen hatten.
»Setzt euch, setzt euch«, forderte Alyss sie ungeduldig auf. Sie selbst war zu unruhig und ließ sich nur auf der Armlehne eines Sessels nieder.
»Lord Orman«, erklärte sie bedeutungsvoll, »hat gerade mit dem Musikanten Barton zu Pferde den Burghof verlassen. Es machte den Eindruck, als seien sie auf der Flucht. Die Männer auf der Burgmauer versuchten, sie aufzuhalten. Ein paar Minuten später nahmen Reiter die Verfolgung auf.«
Lady Gwendolyns Gesinde war sehr viel flinker im Denken als gewöhnliche Dienstboten und speziell dafür ausgewählt, im Diplomatischen Dienst zu arbeiten. Deshalb waren sie auch im vorliegenden Fall weitgehend eingeweiht.
»Weshalb sollte Lord Orman aus seiner eigenen Burg fliehen?«, fragte Max.
»Und warum sollte Barton ihm dabei helfen?«, fügte Victoria hinzu, die ältere der beiden Zofen. Sie alle wussten, wie wichtig es war, niemals Wills echten Namen zu benutzen und ihn auch nie als Waldläufer zu bezeichnen.
Alyss nickte. »Eben. Es kommt mir alles sehr merkwürdig vor. Max, ich möchte, dass du in die Haupthalle gehst und siehst, was du herausfinden kannst. Mach es nicht zu auffällig, sondern hört dich nur ein wenig um.«
»Sehr wohl, Mylady.« Max erhob sich und ging zur
Tür, wobei er seine weiche gefiederte Kappe von einem Haken nahm.
»Max«, rief Alyss, als er die Tür öffnen wollte.
»Ja, Mylady?«
»Sei vorsichtig!«
Er nickte, ging hinaus und schloss die Tür leise hinter sich.
Alyss merkte, dass Victoria und Sandra, die andere Zofe, am liebsten weiter über diese merkwürdigen Ereignisse gesprochen hätten. Doch sie selbst sah keinen Sinn darin, solange sie nichts Näheres darüber wusste. Also nickte sie ihnen nur kurz zu und ging wieder in ihr Zimmer. Sollten sie sich zu zweit darüber unterhalten.
Trotz ihres Vorsatzes, sich nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, konnte Alyss nicht anders, als sich Gedanken zu machen, während sie in ihrem Zimmer auf und ab ging. Hatte Will sich als Verbündeter Ormans ausgegeben, um mehr über ihn in Erfahrung zu bringen? Das konnte sie sich nicht vorstellen. Will hatte erzählt, dass vom ersten Augenblick an eine Abneigung zwischen Orman und ihm bestanden hatte. Das bedeutete, dass er wohl kaum plötzlich zu einem Vertrauten werden konnte.
Vielleicht hatten sie Will irgendwelche geheimnisvollen Kräuter verabreicht? Alyss erinnerte sich, dass Orman Bücher über Zauberei und Zaubermittel gelesen hatte. Doch auch diese Idee verwarf sie wieder. Will hatte nicht den Eindruck gemacht, als sei er in irgendeiner Weise betäubt worden. Er hatte die Gruppe ja sogar angeführt.
Enttäuscht gab sie auf. Auf dem Tisch lag eine unfertige
Stickarbeit – genau die Art von Beschäftigung, die Lady Gwendolyn liebte. Diese nahm sie jetzt auf und schob entschlossen die Nadel hinein. Unglücklicherweise teilten Lady Gwendolyn und sie nicht die Begeisterung für Stickarbeit, und nach ein paar halbherzigen Versuchen, den Flügel eines Schmetterlings zu schmücken, rammte sie sich versehentlich die Nadel in den Daumen und warf den Stoff daraufhin mit einem nicht sehr damenhaften Ausdruck zurück auf den Beistelltisch.
Die Zeit verstrich außerordentlich langsam. Max kehrte nach etwa einer Stunde zurück, konnte jedoch nicht viel mehr berichten, als Alyss bereits wusste. In der Burg waren alle ratlos, dass Lord Orman, sein Sekretär und der Musikant Barton Hals über Kopf die Burg verlassen hatten. Niemand schien zu wissen, warum sie das getan hatten. Und niemand wusste, warum es den Versuch gegeben hatte, sie aufzuhalten. Der Musikant hatte dabei auf einen von Kerens auf der Mauer
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