Die Chroniken von Araluen - Die Belagerung: Band 6 (German Edition)
Hilfe rief. Horace stieg gerade die erste Sprosse hoch, als der Kopf des Wachmanns über ihm auftauchte.
»Übernimm du ihn!«, rief Horace Will zu. Der Wachmann hatte einen Bogen und wollte gerade anlegen. Horace wusste, dass er es unmöglich schaffen konnte, die Leiter hinaufzuklettern, bevor der Mann schoss, doch er hatte absolutes Vertrauen in Will.
Das war auch gerechtfertigt. Will wich schnell ein paar Schritte zurück, legte an, zielte und schoss in einer einzigen flinken Bewegung. Horace hörte das Zischen des Pfeils, dann einen Schmerzensschrei von oben, und
als er wieder hinaufsah, war der Bogenschütze verschwunden.
Weitere Pfeile zischten durch die Luft, denn Will nahm den westlichen Festungswall unter Beschuss, um die Wachen davon abzuhalten, näher zu kommen.
»Es reicht!«, schrie Horace, als er noch vier oder fünf Sprossen von den Zinnen entfernt war. Er wollte nicht, dass einer von Wills Pfeilen ihn traf, wenn er sich über die Mauer schwang. Er wartete eine Sekunde, um sicher zu sein, dass sein Freund ihn auch gehört hatte. Dann nahm er die letzten fünf Sprossen mit größtmöglicher Geschwindigkeit.
Horace wusste, dass ein Angreifer am verletzlichsten war, wenn er den Wall erreichte, so wie er jetzt. Die Wachen warteten dann in Deckung auf den Moment, in dem der Angreifer über die Mauer stieg und sich erst orientieren musste. Genau da griffen sie an.
Also umging Horace diese Gefahr. Er nahm die letzten Sprossen der Leiter mit möglichst viel Schwung und nutzte diesen Anlauf, um hoch in die Luft zu springen, rollte sich zusammen und machte einen Überschlag über die Mauer – und über die beiden Wachen, die unterhalb der Zinnen geduckt auf ihn gewartet hatten.
Die beiden Männer schrien vor Schreck laut auf. Horace landete nach seinem Überschlag geschickt wieder auf den Füßen, ein paar Schritte von der Leiter entfernt. Er drehte sich zu den Wachen, die jetzt erst begriffen, was geschehen war. Den ersten Mann setzte
Horace sofort außer Gefecht, und als der zweite auf ihn zukam, parierte er dessen Schwertschlag, packte ihn am Kragen und warf ihn über die Mauer zum Innenhof. Der entsetzte Ausruf des Mannes brach abrupt ab, als er mit einem dumpfen Schlag auf dem Kopfsteinpflaster aufkam.
Weitere Wachen rannten jetzt von der Nordseite auf Horace zu. Die Tür des Südwestturms wurde aufgeschlagen, und auch von dort sah er Männer kommen. Die Wachen der Nordseite waren näher, also kümmerte er sich zuerst um sie.
»Ich brauche dich hier!«, rief er Will herbei.
Sein Freund war bereits unterwegs. Sobald Horace die letzten Sprossen erklommen hatte, war Will ihm auf der Leiter gefolgt. Oben angekommen sah er Horace im Kampf mit den Männern vom Nordwestturm. Dabei brauchte er keine Hilfe, doch es kam gegnerische Verstärkung aus der anderen Richtung. Will sprang auf die Wehrmauer und legte den Bogen an. Sekunden später war sein erster Pfeil abgeschossen, und der Soldat, der den Angriff aus dem Südwestturm anführte, sank zu Boden. Dann der nächste hinter ihm, und ein dritter taumelte, schrie laut auf und hielt sich den Oberschenkel, in dem ein Pfeil steckte.
Drei Männer tot oder verletzt innerhalb von wenigen Augenblicken. Diejenigen, die folgten, verloren sehr schnell ihre Kampfeslust. Vielleicht waren die Ungeheuer am Himmel doch noch weniger schlimm als dieser tödliche Pfeilregen. Die Wachen wichen zurück
in den Südwestturm. Als die Tür hinter ihnen zufiel, hörten sie noch einen Pfeil im Holz einschlagen.
Will hatte jetzt die Zeit, zum Wald zu blicken. Die Nordländer waren beinahe an der Mauer angelangt. Sie bildeten drei Gruppen, die nochmals drei Leitern trugen. Eine nach der anderen wurden die Leitern angelegt und die Seewölfe kletterten hoch und brüllten ihre Schlachtrufe.
Will sah zu Horace. Sein Freund hielt geschickt die Stellung. Aber noch während er drei Angreifer zurückschlug, schlich ein anderer in großem Bogen herbei, um Horace von hinten anzugreifen. Will legte an und schoss, der Mann schrie und fiel auf das Kopfsteinpflaster im Hof.
Der erste Nordländer war jetzt auf dem Wehrgang. Will sah, dass es Nils Ropehander war. Das war nicht verwunderlich. Der Mann war mittlerweile zu Horace’ Schatten geworden.
»Hilf dem General!«, befahl Will ihm und deutete auf Horace.
Nils nickte und lief los, während er bereits seine Streitaxt schwang.
Der Anblick des riesenhaften, brüllenden Seeräubers in seiner Felljacke versetzte die Soldaten in Angst und
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