Die Chroniken von Araluen - Die Belagerung: Band 6 (German Edition)
ein, Alyss«, sagte er. Bestimmt würde sie nicht einfach einem Befehl gehorchen, der ihren eigenen Tod bedeutete, oder?
Sie blieb stehen und blickte zu Keren, als suche sie Rat.
Er lächelte sie ermutigend an. »Er tut nur so. Er wird dir nichts tun«, versicherte er. »Los, töte ihn.«
Will musste sich eingestehen, dass Keren die Wahrheit sagte. Er konnte ihr nichts tun. Er hatte gedacht, dass er sie mit einem Schuss außer Gefecht setzen könnte – indem er ihr einen Pfeil in den Arm oder ins Handgelenk schoss und sie so dazu zwang, das Schwert fallen zu lassen. Doch wenn er sich vorstellte, wie der Pfeil grausam durch ihr Fleisch schnitt, Sehnen und Muskeln zerriss, sie vielleicht lebenslänglich verkrüppelte, dann wusste er, dass er es nicht über sich bringen konnte, ihr solche Schmerzen zu bereiten. Nicht Alyss, nicht ausgerechnet Alyss. Er konnte es einfach nicht.
»Alyss … bitte …«, sagte er flehentlich.
»Also los«, drängte Keren sie. »Ich sagte doch, er wird dir nichts tun.«
»Ja, das habt Ihr«, erwiderte Alyss.
Will war entsetzt darüber, wie normal sie rein äußerlich wirkte. Sie sprach weder langsam noch ausdruckslos. Sie lächelte Keren sogar an, zeigte sich verwundert darüber, dass Will sie zwar bedrohte, aber dann keine Taten folgen ließ. Allerdings war es ein geistesabwesendes Interesse, so als könnte sie genauso gut auch eine Bemerkung über das Wetter machen.
Mit dem Schwert in der Hand machte sie einen Schritt auf Will zu.
Es gab jedoch eine Drohung, die Will sehr wohl bereit war, wahr zu machen. Er richtete den Pfeil erneut auf Keren, diesmal auf den Hals unmittelbar über dem Kettenhemd, um sicherzugehen, dass es auch ein tödlicher Schuss wäre.
»Wenn sie noch einen weiteren Schritt macht, Keren, dann seid Ihr ein toter Mann. Sagt Ihr das.«
Für einen Augenblick wirkte Keren beunruhigt. »Wartet doch bitte einen Augenblick, Alyss«, sagte er.
Sie hielt inne und blickte fragend zu Keren, wartete auf weitere Anweisungen.
Will lächelte düster.
»So etwas nennt man wohl Patt«, stellte er fest. »Und jetzt holt sie aus ihrer Trance zurück, dann könnt Ihr gehen.«
Zu diesem Angebot hatte er sich soeben durchgerungen. Er konnte Keren später immer noch verfolgen, außerdem versperrten Horace und die Nordländer bestimmt jeden Fluchtweg aus der Burg. Doch je länger diese gefährliche Situation anhielt, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass irgendetwas furchtbar schiefginge. Er sah, wie Kerens Schultern leicht nach unten sackten.
»Gehen?«, fragte er Will. »Wohin denn?«
»Wohin Ihr wollt«, antwortete Will achselzuckend.
»Und Ihr werdet mich verfolgen«, sagte Keren. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, und Will verzichtete auf eine Antwort.
»Keren?«, sagte Alyss. »Es strengt mich nun doch ein wenig an.« Sie hielt das Schwert immer noch mit ausgestreckten Armen.
Keren lächelte. »Es dauert nicht mehr lange, Alyss.« Zu Will gewandt sagte er: »Habe ich eigentlich schon
auf die bemerkenswerte Tatsache hingewiesen, dass Alyss sich hinterher an nichts erinnern wird?«
»Wie interessant«, sagte Will, aber er konnte seine innere Anspannung nicht verbergen. »Und jetzt tut endlich etwas.«
»Ja, vielleicht sollte ich etwas tun«, stimmte Keren zu. »Alyss?«
»Ja, Keren?«
»Ihr wisst doch, dass Ihr alles tun müsst, was ich sage, nicht wahr?«
»Ja, natürlich weiß ich das, Keren.« Sie sah ihn an.
»Gut. Dann hört mir genau zu. Wenn der Waldläufer mir irgendetwas tut, dann tötet ihn.«
Alyss nickte und drehte sich zurück zu Will. Sie sah, dass der Pfeil jetzt auf Keren gerichtet war, und sie wusste, wenn diese schlanke Person dort den Pfeil abschoss, würde sie sie töten müssen. Was für ein Jammer, er sah eigentlich wie ein netter junger Mann aus. Unter anderen Umständen könnte sie ihn sogar mögen.
Sie zögerte. Irgendwo regte sich eine Erinnerung. Nur der leiseste Hauch einer Erinnerung zwar, aber dennoch. Eine blasse Ahnung, dass sie diesen jungen Mann vielleicht tatsächlich kannte. Und wenn sie ihn kannte, warum wollte Keren dann, dass sie ihn tötete? Es war verlockend, diesen Gedanken zu missachten und einfach wieder in das Vergessen einzutauchen, das der blaue Stein für sie bereithielt. Doch jahrelange Ausbildung und Disziplin machten sich nun doch bemerkbar.
Alyss war immer stolz auf ihre Fähigkeit gewesen, Probleme lösen zu können. Und hier war ein Problem, das gelöst werden musste.
»Wie war
Weitere Kostenlose Bücher