Die Chroniken von Araluen - Die Belagerung: Band 6 (German Edition)
dein Name noch mal?«, fragte sie.
Keren, der bis zu diesem Augenblick nur Will im Auge behalten hatte, wandte schockiert den Kopf, als er die Änderung in ihrem Verhalten feststellte. Sie sollte keine Fragen stellen. Sie sollte ihm ohne jedes Zögern gehorchen.
»Los doch!«, fuhr er sie an. »Töte ihn!«
»Ja. Natürlich. Entschuldigung«, sagte Alyss. Und doch zögerte sie.
Will sah die Qual in ihren Augen. Er hatte sich damit abgefunden, dass er Keren töten musste und er daraufhin von Alyss getötet würde. Und er wusste, Alyss würde ihr Leben lang darunter leiden. Wie Keren gesagt hatte, würde sie mit blutbeflecktem Schwert in der Hand und über den toten Körper ihres Freundes gebeugt zur Besinnung kommen. Und niemand wäre mehr am Leben, der ihr sagen könnte, wie es dazu gekommen war.
Diese Bürde konnte er ihr einfach nicht zumuten.
»Nun mach schon! Tu es! Töte ihn! Töte ihn jetzt!« Kerens Stimme überschlug sich.
»Natürlich«, sagte Alyss. Es klang ein leichter Zweifel in ihrem Ton mit, doch sie machte einen Schritt auf Will zu und holte mit dem Schwert aus. Und in diesem Augenblick wusste Will, er musste ihr eine Erinnerung und Vergebung mit auf den Weg geben.
»Alyss«, rief er. »Ich liebe dich. Ich habe dich immer geliebt.«
Er sah es in ihren Augen. Einen Moment der Verwirrung. Das Aufblitzen widersprüchlicher Gefühle. Dann eine plötzliche, blendende Klarheit und ein unglaubliches Entsetzen. Sie starrte auf das Schwert, und ein Schrei entfuhr ihr, als ihr klar wurde, was sie gerade tun wollte.
Sie warf das Schwert fort und brach schluchzend auf dem Boden zusammen. Ihr Schultern zuckten, ihr ganzer Körper wurde von Schluchzern geschüttelt.
Will ließ den Bogen fallen, jeder Gedanke an Keren war vergessen, als er zu Alyss eilte. Oh Gott, dachte er, steh ihr bei!
Er hatte keine Ahnung, was der plötzliche Schock für ihr Gehirn bedeutete. Voller Angst fiel er neben ihr auf die Knie und versuchte, sie hochzuziehen und zu umarmen. Er würde alles tun, damit dieses furchtbare Schluchzen – das Echo eines gemarterten Geistes – ein Ende fand. Aber Alyss hatte sich zusammengerollt und wehrte sich gegen seine Bemühungen, sie in den Arm zu nehmen.
»Alyss, es ist alles in Ordnung! Alles ist gut!«, versuchte er sie zu beruhigen. Aber es war nicht alles in Ordnung, denn sie reagierte weder auf seine Worte noch auf seine Berührung.
»Verdammt seist du in der tiefsten Hölle!«
Will hob den Kopf. Keren kam auf ihn zu, das Schwert, das Alyss fallen gelassen hatte, in der Hand.
»Sie konnte dich nicht töten. Aber ich kann es!«
Will sprang auf und machte eine Schritt von der kauernden Alyss weg. Keren folgte ihm und hieb wie wild auf ihn ein. Das rettete Wills Leben – für den Augenblick. Kerens Schwerthiebe waren nicht wohlüberlegt, sondern nur Ausdruck seiner hasserfüllten Raserei.
Will zog sein Sachsmesser aus der Scheide, gerade noch rechtzeitig, um einen Schlag zu parieren. Er griff sich an den Nacken, tastete nach dem verborgenen Wurfmesser, doch wieder einmal hinderte der Kragen seines Umhangs ihn daran, es herauszuziehen. Will fluchte im Stillen und parierte einen weiteren Schlag Kerens. Ohne die Möglichkeit der gekreuzten Schwertabwehr war er gegen die längere Waffe auf die Dauer im Nachteil. Er konnte sich nur bemühen, dem Schwert des Gegners so lange wie möglich auszuweichen.
Er sah an Kerens Blick, dass er seine Wut langsam in den Griff bekam. Will versuchte noch einmal, das Wurfmesser herauszuziehen. Keren sah die Bewegung und machte einen Ausfallschritt. Will konnte seiner Schwertspitze im letzten Moment ausweichen. Flink drehte Keren das Schwert in seiner Hand, um mit der Rückhand zuzuschlagen.
Will hatte das Gefühl, eine eiskalte Hand griffe nach seinem Herzen, als ihm klar wurde, dass Keren ein erfahrener Schwertkämpfer war. Wie sollte er da hoffen, diesen einseitigen Kampf zu gewinnen? Er wich einem weiteren Hieb aus, spürte die Wand an seinem Rücken
und wusste, er hatte einen Fehler gemacht. Es gelang ihm gerade noch, seitlich wegzuschlüpfen, da traf das Schwert so heftig auf die Mauer, dass es Funken schlug.
Es war das kratzende Geräusch des Schwertes auf der Mauer, das Alyss aus ihrer Erstarrung riss. Sie blickte hoch und sah Will verzweifelt vor Kerens Attacken zurückweichen oder sie notdürftig mit einem Sachsmesser abwehren.
Benommen schob sie sich auf die Knie, dann auf die Füße. Sie schüttelte den Kopf, um ihn
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