Die Chronistin
konnte es sein, dass solch ein Menschenkind aus Guérins Samen entstanden und aus ihrem Leib gekrochen gekommen war? Zu nichts war sie imstande – es sei denn, bei Théodore zu hocken, um ihn zu belästigen und zu bewundern; oder bei Isidora, die gänzlich ohne verständlichen Grund das Mädchen mit warmen Augen anblickte. Nun, vielleicht hatte jene Sympathie für Nutzloses und Schwaches – so wie für die leprakranke Mélisande, die immer noch nicht endgültig verfault und zu ihrer aller Verwunderung Jahr für Jahr erlebte.
Hoffnungsfroh hatte sie der Tochter den Namen einer Heiligen gegeben, welche für Wissen und Weisheit stand. Doch der Geist des Kindes war flatterhaft und rastlos wie der eines kleinen Vögelchens, das zwar flügelschlagend im Nest hockt, jedoch nicht mehr erreicht, als schwerfällig daraus zu plumpsen. Cathérine konnte nicht ruhig sitzen, es sei denn, sie hockte an Théodores Seite, und hatte darum nie vermocht, das Schreiben im größeren Umfang zu erlernen, als dass sie einzelne Worte wiedererkannte.
»Verdammtes Mädchen!«, zischte Sophia. »Verdammtes Mädchen!«
Das Kreischen des Kindes rumpelte – wiewohl nun endlich verstummt – noch immer durch ihr Gemüt und erinnerte sie daran, wie sie sich selbst gebärdet hatte, als sie seinerzeit vor Guérin gehockt war und ihn angefleht hatte, sie nicht fortzuschicken.
»Sprecht Ihr von Eurer Tochter oder zu ihr, so möchte man meinen, Ihr wärt eines der unflätigen Marktweiber von Paris«, erklärte Théodore, der ihr im Rücken saß.
Sie fuhr herum – sein Blick war kühl und gespannt.
»Das geht dich nichts an!«, zischte sie.
»Ei freilich nicht – ich bin doch glücklich, wenn Ihr sie schlagt... und nicht mich. Das habt Ihr vor kurzer Zeit noch getan, wann immer Ihr meintet, ich begreife zu langsam und würde mit Absicht Eurem schnellen Geist hinterherhumpeln. Es kann schon sein, dass mein kranker Fuß nicht nur mein Gehen, sondern auch mein Denken stört.«
»Red keinen Unsinn!«, fuhr sie ihn an. »Du bist nun erwachsen – ich denke nicht daran, dich jemals wieder zu schlagen. Allein, du wirst es nicht leugnen können, dass ich dich weiter brachte als so tumbe Köpfe wie der des Magisters Jean-Albert. Ginge es nach ihm, würdest du immer noch die plumpen Rhetorikkünste lernen – dank meiner aber hast du die Sieben Künste längst hinter dich gebracht und darfst dich Magister nennen.«
Théodore nickte langsam. Er spottete ihrer oft; er war manchmal hochmütig, ja gar aufrührerisch – vor allem aber nagte in ihm leise Furcht vor ihr. Weder hatte er vergessen, wie er als hinkender Junge mit übergroßem Schwert in Händen vor ihr stand und von ihr zu hören bekam: »Du wirst niemals Ritter werden.« Noch wähnte er sich gelehrt genug und in so vielen Wissenschaften bewandert, um ihr das Wasser zu reichen.
»Ich hörte«, sprach Théodore, um abzulenken, »dass die Dauphine einen Sohn geboren hat.«
»Gewiss«, murmelte Sophia, »und alle anderen wären dabeigestanden und hätten zugesehen, wie sie verreckt. Ich hätte gerne darauf verzichten können, helfend einzugreifen...«
»Ich beneide Euch!«, unterbrach Théodore sie viel heftiger, als er gewohnt war, mit ihr zu sprechen. »Ich wünschte, ich würde als gelehrter Medicus durch die Lande ziehen, auf dass ich die Beine kleiner Knaben einrenken könnte und ihnen ein Schicksal wie mir ersparen.«
»Pah!«, rief Sophia gereizt. »Komm mir nicht mit der Medizin! Hab’s dir doch schon einmal gesagt: Du musst die Königsdisziplin erwählen – die Theologie. Begnüge dich nicht mit weniger!«
»Aber wenn man um Eure Hilfe bittet – so geht Ihr doch auch in alle Häuser und rettet Menschen.«
Sie trat auf ihn zu, packte ihn an den schmächtigen Schultern und schüttelte ihn heftig. Sein dunkles Haar war gekräuselt wie das von Mélisande, ehe der Aussatz es ihr weggefressen hatte, und seine Augen kindlich blau, als wäre er gerade erst geboren. »Glaub mir, ich würde lieber an der Domschule lehren und ein gerühmter Magister sein!«, rief sie laut. »Doch erlaubt ist mir nur solches Tun, welches nicht mit dem Geist, jedoch mit den stinkenden, schwitzenden Leibern verbunden ist. Also gib du dir Mühe, bleib wachsam und verfolge deine Studien – so kannst du mir zumindest davon berichten.«
Sie klang nicht so, als würde die von ihr verlangte Gefälligkeit sie zufrieden stimmen, wenn er sie denn erbringen würde. Nun, da die nüchterne Berechnung und die
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