Die Chronistin
streng musterte und sich wieder zum Gehen wandte, begehrte sie auf. »Ich bin nicht in dieses Loch gekommen, um zu warten!«, rief sie mürrisch.
Das Weib war unbeeindruckt. »Mag sein«, antwortete sie mit rasselndem Atem, »aber die Königin empfängt soeben einen der Mönche vom Dorfe.«
Es sollte mich wundern, dass sie sich mit einer Menschenseele austauschen könnte, dachte Sophia für sich.
»Was geht’s mich an?«, sagte sie laut. »Ich bin gekommen, sie zu sehen – also schafft sie her!«
»Ihr habt keine Ahnung!«, zischte die andere mit kaum verhohlenem Zorn. »Dass regelmäßig einer der Mönche vom Kloster im Dorf unten kommt, war ein langer, mühsamer Kampf. Ihr wisst nicht, welche Errungenschaft es für die Königin bedeutet, Besuch empfangen zu dürfen, und sei es nur den eines Geistlichen. Drei Jahre lang hauste sie hier wie in einem Kerker. Man gab ihr kein neues Gewand; sie durfte sich nicht waschen; schwer krank wurde sie und hat beinahe ihr Augenlicht verloren – aber keinem Arzt war es gestattet, nach ihr zu sehen, keinem Priester, ihr beizustehen; nicht einmal die Kommunion erlaubte man ihr zu empfangen. Kein Brief aus ihrer Heimat erreichte Étampes – und umgekehrt durfte niemand eine Zeile an den dänischen Hof verfassen. Hätte sie nicht mächtige Fürsprecher gehabt, die ihr Elend dem Papst schilderten, so hätte sie’s kaum überlebt. Wahrscheinlich hat der König sie eben zu diesem Zwecke hier lebendig begraben lassen – aber Gottes Wille kann das gewiss nicht sein, und deswegen, so seid gewiss, verdient ein jeder, der von Paris kommt, viel länger zu warten, als Ihr es zu ertragen vermeint.«
Sophia schluckte, aber ihr Hals war vom Qualm wie ausgedörrt.
Dummes, bösartiges Weib!, dachte sie erneut. Ist’s meine Schuld, dass sie so hausen muss? Ja, ist es überhaupt die des Königs?
Wenn es nach Philippe ginge, so konnte Isambour gerne in die dänische Heimat zurückkehren, um dort ein wohliges Leben zu führen und es sich an nichts mangeln zu lassen. Nichts weiter musste sie tun, als endlich nach- und ihm die Chance zur neuerlichen Eheschließung zu geben...
Sophia setzte zur Erklärung an, dass sie zu prüfen hier war, ob es denn Bewegung in diese Richtung gebe, und dass sich solcherart Isambours Leiden am schnellsten beenden ließe. Aber dann verkniff sie sich die Worte – nicht nur, weil jene sie nutzlos deuchten, sondern weil nun eine andere Gestalt den Raum betrat, oder besser: von fürsorglichen Händen hineingeschoben wurde.
Sophia hatte sich eben auf eine kalte, steinerne Bank setzen wollen. Beim Anblick der Hinzugetretenen aber fuhr sie hoch und schlug sich den Kopf an der niedrigen Decke an. Sprachlos und mit schmerzender Stirne musterte sie Isambour, Frankreichs verstoßene Königin. Was die Worte des missmutigen Weibs verheißen hatten, sah sie nun mit eigenen Augen.
Isambours bleiches Gesicht war fast durchsichtig. Anstelle von Falten und feinen Rissen war es von kleinen, blauen Äderchen übersät. Die Backenknochen stachen spitz hervor, die Augen hingegen wölbten sich darüber rot verschwollen. Nur zu einem schmalen Schlitz konnten sich die verklebten Lider öffnen, doch dahinter sah Sophia keine Farbe, sondern nur das Weiße. Das blonde Haar, das einst weichen, dünnen Spinnfäden glich, war schlohweiß geworden und stand hart wie Stroh vom Gesicht. Die schlampig gebundene Haube mochte es nicht zu bedecken – wie das dunkle Gewand Fetzen gleich von einem Leib hing, der zum Skelett abgemagert war.
»Lieber Himmel!«, stieß Sophia aus, und sie senkte die Augen, als würde das Elend des fremden Anblicks sie vergiften und gleichfalls blind machen. Mehr noch als der geschundene und kränkliche Leib erschreckte sie, dass er die Seele ausgehaucht hatte. Jene hatte sie früher nie recht wahrgenommen. Stets war ihr Isambour als geistlose Hülle erschienen. Nun erst fühlte sie das Erlöschen eines unendlich weit entfernten, verschwindend leisen, sanften Wesens, das für diese Welt verloren ist, jedoch von einer gänzlich anderen kündet.
»Lieber Himmel!«, stieß Sophia ein zweites Mal aus, und es graute ihr, in die entleerte, nichtssagende Maske zu starren.
»Ja, ja«, höhnte plötzlich eine Stimme, viel zu laut und lebendig, als dass sie von Isambour kommen könnte. »Seht sie Euch nur an und berichtet dem König von ihr! Das habt Ihr aus ihr gemacht, verfluchtes Weib!«
Gret.
Die Heidin aus dem Norden, die sie verflucht hatte.
Das Weib mit den
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