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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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nicht abwarten. Des Gesprächs überdrüssig wandte sie sich fort, um eine der Hofdamen zu suchen, die sich an ihrer Stelle der langsam Genesenden anzunehmen hätte.
    Als sie aber vom Wochenbett wegtrat, so geschah etwas, was eben genannten Vorsatz unterlief. Die Türe ward geöffnet, und ins Gemach der Dauphine, die eben die wichtigste ihrer Pflichten erfüllt hatte und doch nicht froh darüber wurde, trat Frère Guérin.
    Später standen sie vor dem Gemach der Dauphine, ohne Eingebung, wie dem peinvollen Augenblick zu entkommen sei. Der engste Berater des Königs hatte sich persönlich nach Blanches Wohlbefinden erkundigen wollen, einige Fragen gestellt, aufmunternde Worte gesprochen und war hernach wieder gegangen – gemeinsam mit Sophia.
    Gewiss suchte sie seine Gesellschaft nicht. Aber nun, da sie ihm unfreiwillig begegnet war, wollte sie sich nicht vor ihm verstecken müssen – vor allem nicht, nachdem sie Frankreichs künftigen König auf die Welt geholt hatte. Dass sie ihm hinaus folgte, schien ihn zu verwirren. Abwartend blieb er stehen, offenbar zaudernd, wie er sich gebärden sollte.
    Sophia starrte ihm hochmütig ins Gesicht, ohne es sonderlich zu erforschen und Veränderungen wahrzunehmen. Zehrte das Alter an ihm? War er im letzten Jahrzehnt gemächlicher und runder geworden – oder hatten ihn seine Pflichten aufgefressen?
    Sie hätte es nicht sagen können. Es ging ihr durch den Kopf, was in all der Zeit oft an ihr genagt hatte: Ob er denn wusste, dass er der Vater ihrer Tochter war, und ob ihm Bertrands Tod so kurz nach der verhängnisvollen Nacht in Soissons je verwunderlich erschienen war?
    Trotz der vielen Jahre, die vergangen waren, rüstete sie sich innerlich für diese Frage – und hörte doch ganz andere Worte aus seinem Mund.
    »Ich habe von einer der Hofdamen vernommen«, setzte er mit ausdrucksloser Stimme an, »dass Ihr der Dauphine bei der schwierigen Geburt beigestanden habt.«
    Weiter trotzte sie seinem Blick.
    »Sie wäre ohne mich gewiss gestorben«, erklärte sie stolz. »Und das Kind auch.«
    »Ach«, entfuhr es Frère Guérin ohne sonderliche Anerkennung. »Dann sind Euch der König und der Dauphin zu Dank verpflichtet. Ich wusste nicht, dass Ihr der Heilkunst derart mächtig seid.«
    »Ei freilich bin ich das«, entgegnete sie heftig, und ihr gleichgültiger Tonfall wurde barsch. »Ihr wisst doch, über welche Gabe ich verfüge: Ich bewahre jedes geschriebene Wort in meinem Gedächtnis – und zu solchen zählen auch Methoden der Behandlung und die Kräuterlehre. Seit ich zwei der Söhne von Adeline de Brienne, der Schwester meines Gatten, Gott habe ihn selig, gerettet habe, klopft manchmal jemand an meine Tür, um Hilfe zu erbitten.«
    Sie sagte Wort um Wort, um vermeintlichen Stolz zu schüren, doch indessen er sie gleichgültig hörte, blieb am Ende nichts als Missmut. Sie hatte nicht übertrieben – sie hatte in den letzten Jahren viele Leben gerettet, die der Bader aufgegeben hatte, und zweimal war sie auch gerufen worden, um Frauen, die während der Geburt mitsamt des Kleinen gestorben waren, das Kind aus dem Leib zu schneiden. Da es noch nicht getauft war, war dies der einzige Weg, damit die Frau in geweihter Friedhofserde bestattet werden konnte.
    Doch all das war Pflicht, nützlich bestenfalls, um die Last der eigenen Sünden abzutragen, aber niemals eine Genugtuung.
    »So war es denn gewiss richtig, Euch im Fall der Dauphine hinzuzuziehen«, meinte er. »Seit der Leibarzt des Königs tot ist, gibt es keinen, der ihn ersetzen könnte.«
    »Ja«, sagte sie schlicht, weil ihr nichts weiter einfiel, »ja, so ist es wohl.«
    Erneut erwartete sie eine Frage – wie es ihr nach Bertrands Tod ergangen sei, was Théodore de Guscelin, dessen einziger Sohn, triebe. Erst als das Schweigen tönern wurde, gewahrte sie, dass er nichts fragen würde – weder lohnte es sich für ihn, noch wünschte er, sie an seiner Seite festzuhalten. Ganz offensichtlich war sie ihm gleichgültig.
    Darob verletzt straffte sie den Rücken und begann eifrig zu reden, anstatt ihm den Gefallen zu tun, wortlos zu verschwinden.
    »Nun, da wir aufeinander treffen, seid Ihr wohl der Richtige, an den ich mich wenden könnte. Seit langem treibt mich schon die Überlegung, wie es wohl Königin Isambour geht«, sprach sie, aus Trotz den Titel gebrauchend, den keiner sonst ihr zuzusprechen wagte. Dessen Rechtmäßigkeit stand seit Soissons außer Frage – doch ebenso gewiss war des Königs Trachten, den

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