Die Chronistin
vollkommene Beherrschtheit der letzten Jahre leckte, floss auch der stets verleugnete Neid auf Théodore in ihr Gemüt. Oh, wie sie es hasste, dass er ihr nicht nur diente, indem er ihr manche Bücher und Schriften mitbrachte, die sie ansonsten nie hätte lesen können, sondern dass er obendrein mit seinem Schicksal haderte! Wie es sie zerfraß, dass mittlerweile sein Ruf als Lehrender manchen Studenten, der von Paris nicht mehr kannte als das Haus seines Professors in der Nähe der Petit-Pont, auf die andere Flussseite lockte, um Vorlesungen bei Théodore zu hören! Gewiss, es war ihr Trachten, dass er den wüsten Wettstreit der Pariser Magistri um jeden Schüler als begabter und darum gefährlicher Konkurrent belebte. Aber wie konnte er diese Aufgabe, um die sie ihn so glühend beneidete, mit wehleidigen Worten stets als Last benennen?
Er entwand seinen Kopf ihren Händen.
»Ihr duldet mich doch einzig, weil ich Euch Nutzen erbringe«, entgegnete er nicht minder verbittert. »Könntet Ihr mich nicht gebrauchen, wäre mir doch gleiches Gekeife bestimmt, wie es Cathérine trifft, und Ihr würdet mir ebenso deutlich zeigen, wie wenig Ihr mich mögt.«
»Wenn du aus so vielen Büchern zitieren kannst wie ich, darfst du deine Entscheidungen selbst treffen. Bis dahin entscheide ich über dein Geschick«, setzte sie bekräftigend hinzu, anstatt sich gegen seinen Vorwurf zu verteidigen.
»Ich weiß sehr wohl, dass es keinen Sinn macht, mit Euch zu streiten!«, gab er verärgert und zugleich resigniert zurück. »Ihr müsst es mir nicht auch noch sagen. Nun gut – so will ich euch eben berichten, was wir heute...«
Sophia ließ die Hände sinken – ob all der lauten Worte endlich ihres Zorns entledigt.
»Dazu fehlt mir die Zeit – ich muss mich auf den morgigen Tag vorbereiten«, erklärte sie.
»Und was soll morgen geschehen?«, fragte Théodore, und sein Ärger wich der Erleichterung, sie los zu sein.
»Ich werde eine Reise machen«, erklärte Sophia. »Doch zu welchem Zwecke darf ich keiner Seele sagen. Es muss geheim bleiben.«
Später saß sie in ihrer Schreibstube. Nicht konzentriert wie sonst, sondern gedankenverloren hielt sie den Griffel, führte ihn ans Blatt, sah nicht die Buchstaben, sondern in Frère Guérins Gesicht.
Wie oft hatte sie sich ausgemalt, ihn wiederzusehen! Und wie gleichgültig hatte er sich verhalten, als es geschah!
In jenen seltenen Augenblicken, da sie die Regungen ihres Gemüts nicht gänzlich beherrschte, hatte sie ihm schrecklich gezürnt, hatte mit seinem Verrat gehadert und noch mehr mit der Leidenschaft, der Wärme, der Geborgenheit, die sie in jener unseligen Nacht empfunden hatte.
Und doch hatte sie ihn zugleich vermisst – als den Mann, der sich vor ihrer Gabe nie geängstigt hatte, mit dem sich vieles besonnen und nüchtern bereden ließ, der sich wie sie entgegen aller Widrigkeiten und Hindernisse ein brauchbares Leben geformt hatte.
Es soll nicht wehtun, schrieb sie. Es darf nicht wehtun.
Ein Ruck ging durch ihren Leib, als sie gewahrte, was sie getan hatte. Hastig schabte sie die Zeile vom Pergament, trennte das Unwichtige vom Wichtigen und schrieb nur auf, was bedeutsam war.
Aus der Chronik
Philippes Erfolg über Jean sans Terre war nicht das einzige, was ihn erfreute. Der deutsche Thronstreit, bei dem lange Jahre der Welfe Otto sich des Vorteils sicher und darum als künftiger deutscher Kaiser wähnte, hatte sich nun doch zugunsten des frankreichfreundlichen Staufers, Philipp von Schwaben, entschieden.
Jener triumphierte – der König von Frankreich auch. Doch während er noch die gestärkte Koalition feierte, ereilte ihn eine bestürzende Nachricht. Um nach seiner Thronbesteigung den langjährigen Zwist zu beenden und für Frieden zu sorgen, verlobte der Staufer seine Tochter Beatrix mit dem Welfen Otto. Ein anderer jedoch hatte sich schon als sein Schwiegersohn gesehen. Ein bayrischer Pfalzgraf, dem einfach die Verlobte weggenommen wurde, empfand dies als tiefe Schmach – und rächte sich, indem er Philipp von Schwaben kurzerhand ermordete.
Nun war es wieder Otto, dem – ganz ohne eigenes Zutun – die Kaiserwürde lachte. Er zögerte nicht, sich wieder einmal als Frankreichs Feind auszuweisen, indem er sein Bündnis mit Jean sans Terre bekräftigte.
König Philippe, zunächst erstarrt vor Schrecken, antwortete mit eifrigen Plänen: Um Otto zu schwächen und ihm den treuen Landgrafen Hermann von Thüringen abspenstig zu machen, bot er an, eine der
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