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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Töchter Hermanns zu heiraten. Und wieder einmal war es die lästige Isambour, deren bloße Existenz im finsteren Étampes das Vorhaben zu vereiteln drohte.
    Der Nebel hing träge über der Feste von Étampes; der Wind kroch unter ihm, fauchte, aber klärte nicht den Himmel. Aneinander geklebt standen die braunen Halme um die Burg und säumten einen glitschigen Weg. Von den Türmen kicherten schwarze Vögel.
    Sophias Mantel war nicht anschmiegsam und weich, sondern vom schlammigen Dreck erstarrt, den die Hufe der Pferde hatten hoch spritzen lassen. In Erinnerung an die mühsame Reise an Isambours Seite hatte sie die Kutsche verweigert und war stattdessen vor einem der Ritter auf dem Pferd gehockt. Dies mochte zwar kälter, jedoch schneller und bequemer sein, hatte sie gedacht. Freilich musste sie deswegen auf dem mehrstündigen Ritt von Paris nach Étampes ertragen, dass ihr Reiter fortwährend mit seinem Gefährten schwatzte – vor allem über die abscheulichen Erlebnisse während verschiedener Burgbelagerungen.
    Stolz wurde da erzählt, wie bei Evreux ein unterirdischer Stollen bis unter die Burgmauer getrieben, der Hohlraum mit
    Stroh und Reisig aufgefüllt und dieses angezündet wurde. Mit lautem Krachen wäre der Stützbalken eingebrochen und mit ihm die darüber liegende Mauer – manch einer, der dort stand, wäre direkt in die Flammenhölle gefallen.
    Der andere hielt dagegen und sprach von einer Belagerung bei Mauléon: Die Belagerten ließen damals die als Geiseln genommenen Söhne der Angreifer in Käfigen über die Burgmauer hinab, auf dass man auf Brandpfeile verzichtete. Doch die Belagerer sahen lieber schweigend zu, wie ihre Kinder elendiglich zugrunde gingen, anstatt die Belagerung aufzugeben.
    Dass die schrecklichen Berichte von Frauenohren gehört wurden, störte die beiden Ritter nicht. Erst als sie ankamen, hatten sie auch für Sophia ein Wort übrig.
    »Kein schöner Tag«, murmelte einer ihrer Begleiter.
    Als sie abstieg, durchfuhr ein stechender Schmerz ihren Rücken, und ihre Füße versanken augenblicklich im Schlamm. Sie fürchtete, die Stiefel würden darin stecken bleiben.
    »Wenn Ihr wartet, ma Dame«, erklärte der Ritter und bemühte sich, sich trotz des frostigen, ungemütlichen Tages als höflich zu erweisen, »so trage ich Euch bis zum Portal.«
    Sophia hob vorsichtig den Kopf unter der steif gefrorenen Kapuze. Sie sah kein Portal, nur ein hölzernes, mit Schmiedeeisen beschlagenes Tor.
    »Spart’s Euch«, stieß sie entschlossen aus und stapfte darauf zu, während die beiden Pferde ihr mit trägen Augen nachglotzten. Auch von oben fühlte sie Blicke auf sich ruhen – nicht nur von den kreischenden Vögeln, sondern von all den verstoßenen Seelen, die in dieser schrecklichen Burg zu Étampes an der Seite der verfluchten Königin ausharren mussten und sich – durch die schmalen Ritzen spähend – Abwechslung erhofften.
    Als das Tor geöffnet wurde, erwiesen sich diese Blicke jedoch nicht nur als neugierig, sondern als argwöhnisch.
    Ob sie vom König käme? Ob sie seine ausdrückliche Erlaubnis habe? Niemand dürfe zur Isambour – es sei denn, er selbst wolle es.
    Sophia trat mürrisch ein.
    »Frère Guérin schickt mich«, erklärte sie heftig, als zählte jener mehr als der König.
    Die grauen Schatten, die sich um sie geschart hatten, wichen zurück, auf dass sie noch tiefer ins trübe Innere treten konnte, wo Rauchschwaden der Fackeln hockten und sie zum Husten brachten. Der Schein des Lichtes war so mager wie die Wärme, die von ihnen ausging. Fröstelnd blickte sich Sophia um, aber sie erkannte kein einziges vertrautes Gesicht.
    »Nur kurz sollt mein Aufenthalt hier sein!«, erklärte sie überdrüssig und gleichsam bebend. »Gebt meinen Begleitern zu essen, sorgt für die Pferde und führt mich sodann zu Isambour. Ich komme zu erforschen, wie sich ihr Leben hier gestaltet und ob die Klagen über ihre schlechte Gesundheit, die bis zum Papst vordringen, der Wahrheit entsprechen.«
    Die Treppe war schmal und rund. Als sie nach oben stieg, entzündete Sophia beinahe ihre Haube an einer der Fackeln. Ein Wachmeister wies ihr den Weg zu einer Kammer, deren Tür so niedrig war, dass sie sich bücken musste, um hindurchzukommen. Auch nachdem sie drinnen angelangt war, hatte sie das Gefühl, nicht aufrecht stehen zu können. Noch dichter hing hier der Rauch als im zugigen Gang.
    Zunächst wartete Sophia schweigend – dann aber, als ein Weib den Kopf durch den Spalt steckte, sie

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