Die Chronistin
jahrelangen Kampf gegen das unerwünschte Eheweib fortzusetzen.
Frère Guérin zuckte mit den Schultern. Anstatt dass ihm die Frage zusetzte, stimmte sie ihn nachdenklich, fast lauernd.
»Sie fristet in Étampes immer noch ein kärgliches Dasein«, begann er langsam und überlegt. »Wer immer dem König eins auswischen will, nützt ihren Namen, um sich bei Bischof oder Papst wichtig zu machen und schauerliche Geschichten über ihr Leiden zu verbreiten. Das Volk ist davon neugierig gestimmt. Manch einer kommt, in ihrer Nähe zu beten, weil nur besondere Duldsamkeit und Heiligkeit ein solches Schicksal zu ertragen scheinen lassen.«
»Oder Wahnsinn«, warf Sophia ein.
Frère Guérin schwieg. Sie dachte schon, er würde es dabei belassen, und sie wappnete sich, um nicht neuerlich dagegen anzukämpfen, sondern aufsteigenden Ärger und Kummer teilnahmslos und unbesehen bei allem anderen Unkraut anzupflanzen, das im verwunschenen Seelengarten vor sich hin rottete.
Jäh aber ging ein Ruck durch seine starre Gestalt – und er bekundete: »Da wir bereits darüber sprechen... und da wir uns hier begegnet sind... es gäbe einen Auftrag, den Ihr in meinem Namen erfüllen könntet.«
Als sie nach Hause kam, hockten Théodore, der Stiefsohn, und Cathérine, die eigene Tochter, zusammen. Selten gestattete Sophia dem Mädchen, ihn bei seinen Studien zu stören. Umso hündischer und aufdringlicher klebte sie an Théodores Seite, wann immer sie die Möglichkeit witterte, es unbeobachtet und ungestraft zu tun.
Er verspottete sie dann, höhnte, sie könne mit dem, was er da treibe, nämlich Bücher lesen, doch nichts anfangen, und manchmal kniff er sie schmerzhaft in den Arm, bis sie kiekste wie ein neugeborenes Ferkel. Freilich sprach er nie den Befehl aus, sie möge verschwinden, sondern grinste abfällig und gleichsam vergnügt, dass es sie derart zu ihm zog.
Sophia kannte diese Nachsicht nicht. Den Heimweg über hatte sie Frère Guérins Worte und Anblick aus ihren Gedanken ausgemerzt. Nun, da sie das Kind erblickte, das nicht nur ihrem Schoß, sondern ebenso seinen Lenden entstammte, schmeckte sie jählings lauten und unbeherrschten und lebendigen Zorn. Das farbverlorene Eis, durch das sie die letzten Jahre die Welt betrachtet hatte, verfärbte sich, als schmelze es zu gelbem Eiter.
»Was hast du hier zu suchen!«, schrie sie und schritt auf Cathérine zu, ehe diese die Gegenwart der Mutter bemerken konnte.
Das Mädchen zuckte zusammen – nicht dreist und aufdringlich wie in Théodores Gegenwart, sondern verängstigt.
»Dein Bruder ist am Lernen!«. Sophia packte sie an den Haarsträhnen und zog sie bis zur Tür. »Scher dich fort! Stellst du dich auch zu dumm, um die Schriften zu begreifen, so sollst du nicht denken, du könntest ihn mit deinem dummen Geschwätz davon abhalten!«
»Du tust mir weh, Mutter!«, rief Cathérine mit lauter Stimme. Gemäßigter Tonfall lag ihr nicht. Wenn sie litt, so tönte nicht nur leises Wimmern über ihre Lippen, sondern schrilles Kreischen. Sophia war es heute noch mehr zuwider als an all den anderen Tagen, da sie mit der dummen Tochter haderte.
»Halt das Maul, oder ich prügle dich windelweich!«, schrie sie erbittert und versetzte der Tochter einen so heftigen Schlag, dass sie durch den Raum stolperte und im Türrahmen liegen blieb.
Ihr Geheule erfüllte das ganze Haus. Gerne hätte Sophia noch einen Fußtritt nachgesetzt, um jene zu bestrafen, doch ehe sie Cathérine erreichte, stand Isidora an deren Seite.
Sie sprach kein Wort, so wie man es von ihr seit langem kannte. Seitdem sie die schwangere Sophia getröstet und Bertrand getötet hatte, vergrub sich die Sarazenin am liebsten im Schweigen. Ihr einäugiger Blick jedoch bekundete Verachtung, weil Sophia die Tochter so hart anpackte. Wortlos ergriff sie Cathérines Arm, streichelte tröstend darüber und nahm das leiser heulende Mädchen schließlich mit sich – ein deutliches Zeichen, auf welcher Seite sie stand und dass es gewiss nicht mehr die von Sophia war, wenngleich sie an dem Pakt festhielt, den sie mit ihr geschlossen hatte: Niemals sollte ein Wort über Bertrands Tod fallen, Mélisande jedoch ein friedliches, wiewohl verstecktes Leben hier geschenkt sein.
Sophia schüttelte erbost den Kopf.
Sie hatte erwartet, dass ihr Zorn abflauen würde, kaum dass das Mädchen verschwunden war. Doch je weiter das Heulen entrückte, desto stärker ballte sie die Fäuste, bis es schmerzte.
Oh, diese nutzlose Tochter! Wie
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