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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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schwarzen Haaren und den schmalen Augen, das in Isambour stets das verwunschene und doch heilige Kind einer Meermaid erblickt hatte.
    »Der König lässt sie hier verfaulen – und hätte der Papst vor vier Jahren nicht den Abt Geraldus von Casamari hierher geschickt und Philippe hernach erneut mit dem Interdikt gedroht, so würdet Ihr noch weniger vorfinden als diese Reste eines zarten Lebens. Ihr tragt dafür Verantwortung, Sophia! Ihr habt sie diesem elenden Schicksal preisgegeben!«
    Ihre Stimme hatte nicht an Kraft eingebüßt. Wohingegen Isambour an diesem verwunschenen Ort zu zerfallen schien, blühte Gret wie Unkraut auf, das selbst auf Stein gedeihen kann.
    Sophia wich wortlos zurück.
    »Man sagt, dass dem König das Kriegsglück hold sei«, höhnte Gret indessen fort. »Denkt er darum, dass Gott auf seiner Seite stünde? Er sollte es besser wissen. Er ist verflucht.«
    Sophia fand die Fassung wieder. »Und gewiss warst du es, die diesen Fluch gesprochen hat!«, meinte sie und setzte ein kaltes Lächeln auf. »Darin bist du gut – wohingegen dir wohl kein einziges Mal der Gedanke gekommen ist, man könnte mit ein wenig Mühen nur den Aufenthalt hier erträglicher gestalten. Es ist doch kein Aushalten in all dem Qualm. Öffne die Fenster und lass frische Luft herein!«
    »Ihr erteilt keine Ratschläge!«, zischte Gret.
    »Pah!«, rief Sophia, und ihr fröstelnder Leib wurde warm und lebendig. »Ihr alle lasst sie doch mit Absicht zerbrechen, auf dass die Welt an ihr das schreckliche Unrecht erschauen kann, das ihr geschieht. Versteht sie selbst, was passiert? Wünscht sie sich nach Paris an die Seite ihres Gatten? Mitnichten! Diesen Wahnsinn – den du mit deiner gotteslästerlichen Sagenwelt zu erklären versuchst – habe ich nicht bewirkt. Desgleichen bin ich nicht diejenige, die aus ihr eine Märtyrerin machen will, damit einige – längst aufrührerische – Bischöfe mit vermeintlich gutem Recht dem König trotzen können. Isambour ist kein Mensch für sie, nur ein verzerrtes Bildnis, das sie sich auf die Fahnen heften können. Denk also nicht, Gret, du könntest mir Schuld zuschieben für ein Leid, das zu erfühlen sie gar nicht imstande ist.«
    Isambour stand inmitten der keifenden Frauen wie eine Statue. Ihr Kopf wandte sich kein einziges Mal in Sophias Richtung.
    »Wir rasch du bist mit deinem Urteil!«, entgegnete Gret. »Isambour ist dir doch gleich! Um nichts anderes ging’s dir stets als um das eigene Wohl. Die Menschen aber, die auf ihrer Seite stehen...«
    »Diese Menschen sollten nicht an den Papst schreiben, sondern sie endlich in die Heimat schicken!«, unterbrach Sophia sie verärgert.
    »Das wäre Euch allen recht, nicht wahr?«, höhnte Gret. »Nur nichts von ihr sehen. Nur nichts mehr hören. Aber so leicht geht das nicht. Isambour ist Frankreichs Königin.«
    »Pah!«, lachte Sophia. »Eine schöne Königin!«
    »Sie ist kein Mensch wie alle anderen, doch gerade deswegen berufen...«
    Erneut unterbrach Sophia sie. »Ach, lass mich doch in Ruhe, Gret!«, zischte sie, nicht nur verärgert, sondern erschöpft.
    Ich habe genug gesehen, dachte sie und hustete laut und krächzend gegen den Rauch an, genug gesehen und gehört, dies sollte Guérin reichen, Isambour ist völlig verwahrlost... aber ihre Umgebung nicht zum Aufgeben bereit...
    Indessen Gret mit schwarz funkelnden Augen auf sie zuschritt, bückte sie sich wendig, huschte an ihr vorbei und drängte die leblose Isambour in einen der kalten, rauchigen Winkel, um durch die Tür zu entschwinden.
    Schon nahm sie fünf Stufen, schon wähnte sie ihre überstürzte Flucht gelungen.
    Hieda verstellte eine schwarze Gestalt ihr den Weg – kein mürrisches oder schimpfendes oder fluchendes Weib, sondern ein Mann, schon alt, gebeugt und mit dem schwarzen Habit der Benediktiner bekleidet. Das Licht war zu trüb, um seinen Gesichtsausdruck auszumachen – aber die Züge desselben waren Sophia nicht fremd. Sie erkannte ihn daran, wie er steif stand, wie er seine Stirn runzelte. Sie erkannte ihn, aber sie begriff nicht, wie eben jener, den sie seit fünfzehn Jahren nicht gesehen hatte, an diesen gottverlassenen Ort geraten, sie sorgsam mustern und mit einem gequälten Kopfschütteln verurteilen konnte.
    Die Bäume zischelten im Wind und rangen die schwarzen Hände. Während Sophia nach ihren Begleitern und den Pferden Ausschau hielt und ein Stückchen halb erfrorener Wiese bestieg, um vor dem braunen Schlamm zu fliehen, ging ihr wieder und

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