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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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erlebt.
    Über Tage hockte er totenbleich und reglos in seiner Kammer, verweigerte das Essen und ebenso, sich zu waschen. Der Dunst von Schweiß lag über ihm, als Sophia zum wiederholten Male zu ihm trat und ihn bewegen wollte, mit ihr zu reden. Er sah sie nicht an und ließ sie nicht nur mit der Sorge um ihn allein, sondern auch mit dem Hader, dass er es vorzog, sich von der kleinen Schwester Cathérine trösten zu lassen. Auch mit jener sprach er kein Wort, doch er erlaubte ihren kleinen Händen, seine Finger mit festem Druck zu umklammern – gleich so, wie es geschehen war, als sie von der Tante Adeline heimgekehrt waren und zusehen mussten, wie Mélisandes sterbliche Überreste von der Straße gekratzt wurden.
    Théodore hatte nicht geschrieen – so wie es Isidora tat, kaum dass sie aus ihrem tiefen Schlaf erwacht war –, jedoch heftig ausgeatmet. Hernach war er auf Cathérine gesunken, die ihn stützte und zum Haus geleitete. Trotz des Schreckens – und gewiss auch der Ahnung, dass Mélisande doch mehr sein müsste als nur eine entfernte Verwandte – hatte sie der Mutter einen triumphierenden Blick zugeworfen.
    Sophia wagte nicht, die Tochter anzukeifen oder zu schlagen, wie sie ansonsten auf herausforderndes Gebaren antwortete. Sie war erleichtert, dass Théodore sich wenigstens dieser einen Seele nicht verschloss – und setzte erst nach einer Woche an, sein gramvolles Schweigen zu durchbrechen.
    Noch ehe sie in sein Gemach trat, hatte sie sich für neue Lügen gerüstet – noch tiefer in dem Meer von Sünde und Schuld schöpfend, in das ihr Leben versunken war.
    »Es... es hat ihr das Herz gebrochen, dass du sie gesehen hast«, begann sie und dankte Gott zum wiederholten Male, dass Luc Arnaud rechtzeitig vor Théodores Rückkehr das Haus der Guscelins verlassen hatte. Niemals würden ihre Ränke aufgedeckt werden. Niemals offenkundig, dass sie es war, die Mélisande in den Tod getrieben hatte.
    »Alles, alles hätte sie ertragen können«, fuhr sie fort, »doch nachdem du Zeuge ihres Zustandes wurdest, wollte sie nicht mehr weiterleben.«
    Théodore zuckte unmerklich zusammen. Er hob seinen Kopf und ließ sie in sein Gesicht sehen, das schön hätte sein können, wäre es nicht eingefallen und leichenblass gewesen. Wiewohl er stets darauf beharrte, dass ihm das hinkende Bein zwar beim Gehen hinderlich war, jedoch keine Schmerzen bereitete, war seine Miene stets gequält und ungesund.
    Vorsichtig hob Sophia die Hand und legte sie auf seine Schulter.
    »Alles, was ich jemals getan habe«, flüsterte er kaum hörbar, »kommt mir so unbedeutend vor – ob ihres schrecklichen Sterbens. Was muss sie gelitten haben, dass sie dazu fähig war...«
    Sophia verstärkte ihren Griff, wiewohl sie ihn ansonsten nur selten berührt hatte. Vorsichtig hob sie die andere Hand und strich über seine Wange – in gleicher Weise, wie es Luc Arnaud bei ihr getan hatte. An dessen widerwärtige Finger wollte sie jedoch nicht denken, vielmehr den Stiefsohn ködern, dem sie noch nie Wärme geschenkt hatte. Nun tat sie es überreich, nutzte seine Trauer, um den Widerstand zu brechen, und umarmte ihn. Zufrieden, wenngleich mit leisem Ekel gewahrte sie, dass seine steifen Bewegungen weich wurden.
    »Du darfst dein Leben nicht wegwerfen, nur weil deine Mutter es tat!«, sprach sie sanft auf Théodore ein und hielt ihn in der Umarmung fest. »Gewiss, ich verstehe deinen Gram. Es schmerzt mich, dich so leiden zu sehen. Und doch denke ich, dass Gott sich ihrer armen Seele erbarmen wird und ihr vergeben, dass sie sich selbst das Leben nahm. Auch wenn es eine Todsünde war, so dünkt mich doch, dass...«
    Er zuckte zurück, entriss sich ihren Armen und sprang auf.
    »Haltet den Mund, Sophia!«, zischte er. »So etwas wie Mitleid habt Ihr Euer Leben lang nie gekannt. Selbst ich war Euch doch immer nur Mittel zum Zweck.«
    »Das ist nicht wahr! Das ist nicht wahr, und selbst deine Mutter hat das erkannt.«
    Ungläubig blickte er sie an. Sie vermied es, erneut sein Gesicht zu streicheln und nach ihm zu fassen, aber lehnte sich an seine Schultern.
    »Ja, ja...«, raunte sie, und die Lüge – nur eine weitere von schon so vielen – fiel ihr nicht schwer, »sie hat sich große Sorgen um dich gemacht und sich mir anvertraut. Am meisten quälte sie dein Wunsch, ein Medicus zu sein. ›Gar schrecklich ist’s‹, so sagte sie mir, ›den eigenen Körper verfaulen zu sehen. Am allerwenigsten aber will ich, dass mein einziger Sohn bei den Kranken

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