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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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hockt. Er hat etwas Besseres verdient. ‹«
    »Das glaube ich nicht!«
    »Und doch ist es so«, bekräftigte sie unbeirrt ihre Lüge. »Ich kann’s dir auch beweisen...«
    Sie rückte von ihm ab, suchte in den Falten ihres dunklen Kleides und zog die rote Kette hervor, die sie von der fallenden Mélisande gerissen hatte. Sie nahm Théodores Hand und drückte sie hinein.
    »Diese Kette hat Bertrand deiner Mutter geschenkt, nachdem sie dich geboren hat«, erzählte sie entschlossen. »Sie übergab sie mir als Zeichen, dass sie dich mir anvertraut. Ich sollte nun deine Mutter sein, über dein Wohl entscheiden, dich bedrängen, dass du bei dem bleibst, was dein größtes Talent ist... die Wissenschaft.«
    Théodore starrte auf das Schmuckstück und schien ihr noch fahler im Gesicht zu werden. Erneut zwang sie sich dazu, ihn zu umarmen. Vielleicht konnte sie seine lähmende Wehmut aus ihm herauspressen. Vielleicht das eigene Unbehagen über all ihre Untaten abwürgen.
    Wie dünn er war, wie schmächtig!
    Fast widerte er sie an. Fast war sie bereit, ihn wegzustoßen, sich einzugestehen, dass sie ihn nicht mochte, dass ihr sein weiches Wesen stets fremd geblieben war. Fast erlag sie dem Trachten, vor ihm und seiner Verstörtheit zu fliehen.
    Doch rechtzeitig brachte sie sich zur Räson. Sie brauchte ihn noch. Nicht als Sohn brauchte sie ihn, nicht als Schüler, sondern als Maske, die sie sich aufsetzte, um von allen unerkannt zu wirken und zu lenken: am Königshof und an der Universität.
    Sie stieß ihn nicht zurück, sondern ließ ihn nur sachte los und setzte ihm mit ihren Worten weiter zu.
    »Ich sagte früher stets, dass ich über dein Geschick entscheide, bis du gelehrt bist wie ich«, sagte sie schnell, »dies mag sich nun geändert haben. Es geht darum... ihren Wunsch zu erfüllen, Théodore, auch wenn dir anderes lieber wäre. Tu es nicht für mich – tu es für sie! Tu es für deine arme, tote Mutter Mélisande de Guscelin! Und wenn es dir zu wenig ist, an der Universität zu lehren, so habe ich mir längst eine Aufgabe, ja ein Amt ausgedacht, das noch viel mehr Sinn und Zukunft verspricht. Ich verstehe, wenn du an der Engstirnigkeit mancher Professoren leidest – und darum, ja eben darum sollst du einen noch machtvolleren Rang bekleiden als nur den ihren.«
    Matt sank er auf einen Stuhl – bekundend, dass nicht nur sein Leib geschwächt war, sondern auch seine Willenskraft.
    »Wovon redest du?«, fragte er.
    Sie lächelte ob seines Nachgebens.
    »Später«, murmelte sie milde, »ich erzähle dir später mehr.«
    Als Sophia sein Gemach verließ, stieß sie auf Isidora. Das eine Auge blickte nicht starr wie ehedem, sondern war rot geweint und geschwollen. Ihre Stimme klang krächzend vom langen Wehklagen – niemand im ganzen Haus hatte so lautstark um Mélisande getrauert wie sie.
    »Was habt Ihr getan?«, fragte sie bitter. »Was habt Ihr nur getan? Ich dachte, wenn ich auf Euch setze, so bleiben meiner Mélisande friedliche letzte Jahre. Ihr habt es mir geschworen! Ihr habt es mir in meinen Armen ruhend geschworen!«
    Sophia straffte ihre Schultern, um das Unbehagen nicht einzugestehen, das die Einäugige säte. Sie hatte erwartet, dass es nicht schwer fallen würde, nicht nur Théodore, sondern auch sie anzulügen. Doch der Vorwurf, der da im runzeligen Gesicht stand, bedingte in ihr nicht trotzige Widerrede, sondern ließ sie an den Moment denken, da sie schluchzend in Isidoras Armen gelegen und ihr versprochen hatte, für Mélisandes Wohlbefinden zu sorgen.
    »Ich habe Mélisande gewiss nicht aus dem Fenster gestoßen!«, rief sie hastig und wollte sich ducken, um an der anderen vorbeizukommen.
    »Aber Ihr habt doch mit ihr gesprochen, Ihr habt sie doch dazu gedrängt«, rief Isidora kreischend hinter ihr her, »entgegen dem Pakt, den wir vor Bertrands Tod geschlossen haben.«
    Sophia hatte Angst, dass Théodore davon hören könnte.
    »Psst!«, rief sie unbehaglich und hielt ihr entgegen: »Ihr habt mir nichts vorzuhalten – ich freilich zu fragen, ob nicht etwa Ihr es wart, die Théodore den Weg zu ihrer Kammer gewiesen hat, auf dass er die todkranke Mutter aufstöbere...«
    Isidora leugnete es nicht.
    »Ich tat’s, weil ich um sein Wohl besorgt war. Denn Ihr seid kein Garant dafür.«
    »Denkt, was Ihr wollt«, sagte Sophia bitter, »aber es war ausgemacht, dass Mélisande in ihrer Kammer still und heimlich lebt – und nicht, dass sie sich Théodores bemächtigt. Im Übrigen – wenn Ihr ein

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