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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Begabte endlich eine Schwäche zeigte, die anderen verwirrt, warum er so sorglos sprach –, da sagte er: »Wenn nun die Entscheidung, ob der Mensch Gutes tut oder Böses, bei Gott liegt, und Gott der alleinige Richter über Heil und Verdammnis ist – kann es dann nicht auch sein, dass Gott selbst es ist, der bestimmt, was gut und böse ist, was wahr ist oder falsch? Wenn man sagt, Gott habe die Welt als gute erschaffen, könnte man nicht meinen, dass er sie nicht geschaffen hat, weil sie gut war, sondern dass er nach der Schöpfung lediglich bestimmte, sie wäre es? Dass er sie – selbst wenn sie böse gewesen wäre – durch sein Allmachtswort hätte gut machen können?«
    In der Aula begann es noch lauter zu rumoren, indessen eine ungesunde, hektische Röte in seine Wangen stieg.
    »Soll das heißen, dass Rechtgläubigkeit vielleicht Häresie sein kann und ebenso Gegenteiliges – wenn Gott es denn so entscheiden würde?«, fragte einer der Professoren.
    »Ja, gewiss«, gab Théodore nunmehr fast grinsend zurück. »Vielleicht sind manche Gesetze auf dieser Welt nur zufällig entstanden, nicht dem unendlichen Willen, sondern einer bloßen Laune Gottes entsprungen – zum Beispiel, dass einzig der Mann über den Verstand verfüge, die Frau aber bloß über die Sinne. Dass nur der Mann gelehrt sein dürfe, die Frau aber sich ihm zu unterwerfen habe.«
    »Die Welt ist kein Spiel«, rief ein Professor dazwischen. »Zu den Wahrheiten, die über Äonen von Jahren Bestand haben, zählt gewiss, dass die Frau nur ein verfehlter Mann ist und ihre Fähigkeit zur Sünde folglich viel größer.«
    »Wenn Gott«, gab Théodore zurück, »allein die Wahl über Heil und Verdammnis fällt – dann hat er doch auch die Macht, seine Meinung jederzeit zu ändern.«
    Er musste nicht mehr viele Worte machen, um das Kollegium aufzuwühlen. All seine Gegner sprangen auf und schrien wild durcheinander, dass der freie Geist an den einstigen Kathedralschulen zu diesen Ketzereien führte, dass zu lange Jahre ein jeder hätte machen dürfen, was er denn wollte, dass diese Universität jedoch nach dem Willen des Papstes kein Hort der Spielereien sein sollte, sondern ein Hort der Rechtgläubigkeit.
    »Oh, ängstliche Geschöpfe!«, rief Théodore ohne Vorsicht.
    »Was einmal gilt, soll immer gegolten haben und darf sich nie ändern, ganz gleich, was auch geschieht?«
    Schon plärrten manche: »Ich kenne diesen Théodore de Guscelin!« und fanden billige Freude, ihn allen möglichen Unrechts zu zeihen. »Er gehört zu jenen, die Aristoteles lesen!«, hieß es – und jene, die davor immer Angst hatten, weil Platon seit tausend Jahren als wichtigster heidnischer Philosoph zählte, fügten hinzu: »Alle, die von diesem vergiftet sind, behaupten, dass die Form, die Idee, das höchste Prinzip keinen höheren Wert habe als das Individuelle, ja, dass der einzelne Mensch dieselbe Würde besitze wie Gottes Vorstellung vom Vollendetsten desselbigen.«
    »Und darauf kommen sie nur, weil sie erklären, Gott würde allem Seienden innewohnen und folglich jedem Menschen«, spann ein anderer den Ärger weiter. »Ha! Ist denn auch Gott in einem Stein, nur weil der Stein ein Seiendes ist? Oh nein, Gott ist nicht in den Dingen, sondern über die Welt erhaben.«
    »Pfui Teufel«, plärrte ein weiterer, »diese Verblendeten geben sich gar mit Heiden und Juden ab, weil sie ihnen Würde zusprechen. Pah! Und hat er sich nicht gerade selbst bloßgestellt, indem er sagte, die Weiber hätten einen Geist?’«
    »Und warum nicht?«, fragte Théodore zurück. »Omnes homines namque homines natura aequales sumus. – Alle wir Menschen sind von Natur aus gleich. So sprach doch auch Gregor der Große. Warum fällt es Euch so schwer, das zu glauben?«
    Robert de Courçon sprang auf. Seine Stimme war die einzige, die sich kühl über dem Gekreisch abhob. Der Rektor der Universität verbat Théodore jedes weitere Wort – für heute und immerdar.
    Oh, was für ein Narr!, dachte Sophia verbittert.
    Vor Zorn war sie ins Laufen geraten; die Luft in ihrer Straße – zwar modrig, aber nicht vom schwarzen Rauch durchsetzt – drang tief in ihre Brust und klärte die verästelten, verwirrenden Gedanken. Als sie das Haus betrat, hatten sie sich längst zum einzigen Trachten verwoben, Théodore wegen seiner unsinnigen Provokation zur Rede zu stellen, anstatt zu fragen, wie sich diese in all die anderen Ereignisse des Tages einfügte.
    Das konnte warten. Sollte er ihr doch erst

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