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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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mit, was sie je von Théodore zu wissen geglaubt hatte.
    »Aber... aber auch deine Mutter wollte...«, setzte sie an und schämte sich nicht, die Lüge von einst – dass Mélisande ihr den Sohn anvertraut und gleichfalls nichts als seinen Aufstieg als Gelehrter gewollt hatte – erneut zu gebrauchen.
    Es nützte nichts. Schmerzverzerrt richtete er sich noch weiter auf, um ihr ins Wort zu fallen.
    »Gewiss, das sagtet Ihr mir. Doch kann ich mir nicht denken, dass sie mich an einer Stätte haben wollte, wo anstelle eines frischen Lüftleins rauchige Säulen hochsteigen und den Atem verpesten. Nun, ich habe mich weder ihrem noch Eurem Willen offen entgegengesetzt, mich vielmehr von diesem Ort verjagen lassen, indem ich mich ein letztes Mal vor Euch verbeugte. Oft sagtet Ihr, ich müsste klug werden wie Ihr, um über mein Geschick entscheiden zu dürfen. Und eben an dieser Gelehrsamkeit fehlte es mir heute nicht...«
    »Aber an der schlichten Schläue, wie sie selbst ein Bauer hat!«, zischte sie. »Wie konntest du das einzige Leben wegwerfen, zu dem du taugst?«
    »Wer sagt, dass es kein anderes gibt?«
    »Dein Bein ist verkrüppelt!«, keifte sie noch lauter.
    »Nun, dann wäre ich in der ersten Schlacht gefallen, in die ich jemals gezogen wäre!«
    »Aber dein Talent...«
    »Wer sagt, dass ich eins habe? Ihr habt mir doch zeternd und schimpfend und schlagend die Theologie eingebläut. Und ich bin darin nicht gescheitert – zumindest nicht an meiner Dummheit oder Faulheit, sondern an der Professorenschar, und für deren Handeln kann ich nichts.«
    Ohnmächtig rang sie die Hände. Oh, wenn sie ihn nur packen dürfte, ihm Leben einprügeln, ihn zurück auf den Weg schicken!
    »Es hat dir gut getan, solange sich nicht ein Taugenichts wie Christian an deine Fersen heftete! Gottlob hast du so gute Kontakte zum königlichen Hof – vielleicht können dir Louis und Blanche helfen.«
    Théodore lachte spöttisch auf.
    »Habt Ihr denn noch immer nicht begriffen, dass es zu alldem kam, dass mir mein Plan doch nur gelang, weil ich sie mit ins Verderben gerissen habe? Für den König, Sophia, ist heute ein großer Freudentag.«
    »Ach, was redet ihr alle stets vom König? Ich verstehe das nicht! Was haben er und die Universität miteinander zu schaffen, auf dass...«
    Sie kam nicht weiter. Laute Schritte hetzten über den Gang. Die Tür ward aufgerissen, und kühle Abendluft drang in die stickige Krankenkammer.
    »Théodore!«, rief Christian herrisch und scherte sich nicht darum, wie erbärmlich und schwach der Freund da im Bett lag. Kein Funken Leichtsinn war aus seiner Stimme zu hören – nur Schrecken. »Théodore – Théodore, du muss sofort Paris verlassen. Ich dachte, sie würden sich mehr Zeit lassen... Aber eben habe ich gehört, dass sie dich verhaften wollen!«
    »Wer, wer will ihn in den Kerker werfen?«, fragte Sophia.
    »Die Männer des Königs natürlich!«, entgegnete Christian rasch.
    »Aber es ist doch nicht möglich... Und wo sonst soll er leben, wenn nicht hier? Théodore ist ein Gelehrter!«
    Christian lachte bitter auf. »Jetzt nicht mehr! Begreift doch endlich! Draußen vor den Stadttoren werden nicht nur Bücher verbrannt. Zehn Pariser Männer hat man zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt, weil sie im Verdacht stehen, Amaury de Bène anzuhängen, der seit heute als Ketzer gilt. Und aus Amiens hört man Gleiches. Théodore muss fliehen. Es geht um sein nacktes Überleben.«
    Isidora versuchte, dem Entkräfteten heiße Suppe einzuflößen. Sie hatte sich nicht ausreden lassen, ihm trotz der knappen Zeit diese letzte Stärkung für die aufreibende Flucht einzuverleiben. Cathérine hockte hinter ihm und stützte ihn, auf dass er sich nicht verschluckte. Zuvor hatte sie noch flehentlich auf Christian eingeredet: »Du gehst doch mit ihm? Du lässt ihn nicht allein?«
    Christian hielt ihrem Blick stand und nickte ernsthaft. Als wollte er seinen Schwur bekräftigen, hob er ihre Hand und küsste sie flüchtig.
    Er liebt sie also doch, dachte Sophia, und ist dafür sogar bereit, ihren geliebten Bruder zu retten und ihm beiseite zu stehen.
    Dass sie wenigstens in einer Sache nicht geirrt hatte, stimmte sie freilich nicht fröhlicher. Während Théodore das letzte kräftigende Mahl erhielt, schritt sie zunächst unruhig in dem Gemach auf und ab, packte dann Christian am Arm und zog ihn hinaus.
    »Ich kann immer noch nicht verstehen, was geschehen ist – aber ich gebe Euch Geld, damit ihr fürs Erste

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