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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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ehe sie sie aussprechen konnte, »genau betrachtet... habe ich sie gar nicht gesucht. Alle Schwestern waren damit beschäftigt – ich hingegen sehnte mich nach Ruhe.«
    Sœur Yolanthe nickte verständnisvoll. »Und warum«, fragte sie dennoch, »seid Ihr dann nicht in Eure Zelle gegangen, sondern ins Skriptorium?«
    Roesia blickte sie fragend an und mochte keine vernünftige Erklärung finden.
    »Was tut denn dies zur Sache?«, fuhr Sœur Eloïse dazwischen, die den Brief beendet hatte.
    »Wahrscheinlich nichts«, antwortete Yolanthe, »allein, wir wissen so wenig, was in diesen Mauern geschieht, dass es gut sein mag, jedes Vorkommnis zu beleuchten und zu hinterfragen – mag es auch noch so nichtig sein.«
    Roesia rieb sich die Augen. Von der Stube blickte sie hinab auf den Hof, in dem die Geschäftigkeit nicht nachgelassen hatte. Vorhin war es noch die Suche nach Gret gewesen, die alle umtrieb – nun war es die Frage, wie man sie aufbahren sollte, wo doch in der Kirche noch der Leichnam von Cathérine ruhte.
    Sollen sie doch nebeneinander liegen, dachte Roesia, was soll der Tod sie trennen, wenn doch zu Lebzeiten der Hass auf Sophia sie einte... und zu guter Letzt der Wille, sich etwas versöhnlicher stimmen zu lassen.
    Aufgrund der Chronik, die sie beide kannten.
    »Ich ging wegen Sophia ins Skriptorium«, erklärte sie. »Ich dachte, wenn sie dort Ruhe gefunden hat – so kann ich es auch.«
    »Aber das Skriptorium spendet nicht nur Ruhe, sondern ist der Ort, wo sie die Chronik geschrieben hat!«, rief Sœur Eloïse dazwischen. »Und es sollte mich nicht wundern, wenn dies auch der Grund dafür ist, dass Gret dort sterben musste. Doch ganz gleich nun, wie das eine mit dem anderen verbunden ist – ich frage mich, ob wir nicht den falschen Weg gingen, indem wir nach jenen suchten, die Sophia gehasst und ihre Chronik gekannt haben könnten.«
    Yolanthe blickte sinnend, Roesia überrascht.
    »Was meinst du damit?«
    »Vielleicht bringen wir den gemeinen Mörder, der in diesem Stift wütet, nur auf die rechte Spur, wenn wir die Schwestern befragen und lauthals jene benennen, die darin gelesen haben. Vielleicht wär’s besser, nach der Chronik selbst zu suchen, die all dieses Fürchterliche bedingt hat.«
    Roesia zuckte die Schultern. »Die Chronik ist seinerzeit mit Sophia verschwunden – aber nicht mit ihr aufgetaucht...«, warf sie ein.
    »Also haben jene, die sie gelesen haben – und sowohl Gret als auch Cathérine zählten sich dazu –, es noch zu Sophias Lebzeiten getan.«
    »Gewiss! Aber das ist nichts Neues!«
    Sœur Yolanthe blickte stirnrunzelnd zwischen den beiden hin und her.
    Sœur Eloïse fühlte den Blick deutlicher als Roesia.
    »Was denkst du?«, fragte sie ungehalten.
    Yolanthe zuckte die Schultern. »Es wundert mich, dass... dass Ihr beide nichts davon zu wissen scheint. Ich dachte, dass zumindest Ihr, Ehrwürdige Mutter, davon in Kenntnis gesetzt seid...«
    Ein Hauch von Misstrauen senkte sich über ihren Blick, als würde Roesia ihr mit Absicht etwas verschweigen.
    »Wovon redet Ihr? Was sollte ich wissen?«, fragte Roesia, der das Unverständnis ins Gesicht geschrieben stand. Sœur Yolanthe zuckte die Schultern.
    »Nun, wenn Ihr von der Chronik sprecht, so ist hinzuzufügen, dass Sophia nicht nur eine Chronik geschrieben hat. Sondern derer zwei. Und dass sie die erste verbrannt hatte, bevor sie die zweite begann.«

Kapitel XIV.
Anno Domini 1213
    Dicke Rauchschwaden trieben über den Platz vor Notre Dame; blutrot glimmende Funken stoben, Asche wurde von spärlichen Windstößen in die Luft getrieben und rieselte später wie schwarzer Regen von dort herab. Zuerst presste Sophia die Augen zusammen, um sich vor dem lohenden Feuer zu schützen und um Tränen, die sich zwischen den Lidern sammelten, nicht über die Backen perlen zu lassen.
    Als sie sich aber an den beißenden Geruch gewöhnt hatte, suchte sie nach dem Scheiterhaufen, dem er entströmte, und wühlte sich durch die Menschenmasse, die darum herum stand. Schwer war es durchzukommen, denn die Gaffenden waren wie ein starrer, dichter Wald festgewachsen und nicht bereit, die Wurzeln zu lösen. Manch einen unwirschen Stoß des Ellenbogens musste sie ertragen, ehe sich die Reihen lichteten und ihren Blick auf das Schauderliche preisgaben.
    In der ersten Reihe wurden Stimmen laut, die das Geschehen nicht nur mit kuhäugigem Glotzen hinnahmen, sondern auch beklagten.
    »In Bologna habe ich solches schon erlebt!«, rief ein junger Mann, der

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