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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Erben des Königs formen. Doch daran ist er fast zerbrochen. Er hat Eure Pläne mit Absicht zunichte gemacht, und jetzt... jetzt wird er vielleicht sterben.«
    Über Stunden hockte Sophia bei Théodore, aber war nicht fähig, seine Wunden zu pflegen. Geistlos sah sie zu, wenn Isidora die Verbände wechselte. Der Anblick des schwarzen, gestockten Bluts, das sich in Krusten um die Schnitte legte, erregte ungewohnten Ekel – und Furcht. Der Tod klopfte nicht als machtvolle, aufrechte Gestalt an die Tür, sondern kroch wie stickiger Nebel durch alle Ritzen. Wabernd und sabbernd hüllte er sie ein und betäubte all ihre Sinne mit seinen verderbten Dämpfen, sodass ihr keine Kraft blieb, ihm entgegenzutreten.
    Schließlich schlich sich der Gevatter lautlos von dannen, ohne das schwächliche Leben einzusacken. Vielleicht deuchte es ihn eine zu dürre Ernte.
    Am Abend erwachte Théodore und starrte sie aus bleichem Gesicht an – verwundert, dass er noch lebte, und ebenso verwundert, dass Sophia an seiner Seite hockte. Auch Cathérine – zwischenzeitig heimgekehrt – hatte sich nicht nehmen lassen, bei ihm zu wachen, und war nun die Erste, die auf ihn einsprach.
    »Oh, Théodore!«, rief sie. »Wie konnte es dir einfallen, mich allein zu lassen... mit ihr!«
    Sie sprach, als wäre Sophia nicht zugegen.
    Er hob kraftlos die wunden Hände und ließ sie alsbald wieder sinken.
    »Später, Cathérine, später... lass mich allein... mit Sophia.«
    Die Schwester gehorchte unwillig und zögernd, aber tat schließlich doch, worum sie gebeten ward. Allein mit Sophia schwieg Théodore jedoch, anstatt zu reden.
    Sie betrachtete ihn immer noch fassungslos. Ihr wendiger Geist war immer noch gelähmt.
    »Ich verstehe nicht, was geschehen ist!«, murrte sie. »Die Bücher mancher Gelehrten sind verboten und verbrannt worden. Es heißt, dass der König es erlaubte, ja wollte. Und obendrein hast du... Aber wie kam es denn dazu... und warum...«
    Er unterbrach sie mit einer Stimme, die dunkel war wie das Blut. Ruhig lag der Körper, und nur die Lippen bewegten sich. Ein wenig deuchten Sophia die Laken im gelben Schein der Öllampe wie Leichentuch, das einst auch Mélisande verborgen hatte, als sie aus der Gemeinschaft der Gesunden ausgestoßen worden war.
    »Ich habe meine Karriere an der Universität vollends zerstört.«
    »Ach Unsinn«, widersprach sie heftig. Wiewohl sie vom Verlauf seines Disputs wusste, deuchte ihr dessen Konsequenz zu ungeheuerlich. »Man wird dir verzeihen, wenn du für deine vorlaute Rede Reue zeigst. Und außerdem: Die Studenten werden nicht erlauben, dass du von der Universität verbannt wirst. Sie schätzen dich!«
    Théodore lachte bitter, wiewohl es ihm Schmerzen bereitete und er sich krümmte.
    »Ha! Die Studenten! Sie protestieren, wenn gute Wirtshäuser geschlossen werden und es zu wenig Herbergen gibt – gewiss nicht wegen mir.«
    »Aber...«
    »Ach Sophia! Glaubt mir: Ich habe mein Geschick gründlich genug besiegelt. Ich wusste, was ich tat.«
    Sie gab sich störrisch, schüttelte den Kopf, wollte nicht aussprechen müssen, was die Bruchstücke ergaben. Immerhin ersparte es ihr Théodore, die unliebsame Wahrheit zu benennen.
    »Wisst Ihr, Sophia... seit dem Tag, da ich Euch kenne, möchte ich Euch so gerne zufrieden stellen und Euer Lob hören. Und zugleich denke ich mir oft, dass ich nur glücklich werden kann, wenn ich Euch zuwider handle.«
    »Rede keinen Unsinn!«, entgegnete sie rau.
    »Die Gelehrsamkeit war meine einzige brauchbare Waffe gegen Euch.«
    »Du wirst mir doch nicht sagen wollen, dass du gegen mich kämpfst!«
    »Oh doch – ich tat’s: In einer Weise aber, die Ihr mir nicht vorwerfen könnt. Ich habe Eure Pläne durchkreuzt – und damit zugleich größte Achtung vor Euch bekundet. Was sagte ich denn anderes zu den Professoren, als dass auch ein Weib wie Ihr fähig wärt, an meiner Stelle in der Aula zu stehen und dort zu disputieren? Denn dies war, was ich immer wusste: Mit jedem Magister könnt Ihr es aufnehmen. Jeden Gelehrten übertrefft Ihr mit Eurem Wissen. Würde es zum Gesetz werden, dass jeder Einzelne, ganz gleich, welchem Geschlecht er zugehört, sagen und denken kann, was immer will, dann würdet Ihr dort stehen, wohin Ihr mich geschoben habt, und ich wäre endlich der lästigen Pflicht ledig, das zu tun, was Euch verboten ist.«
    Wohingegen anfangs seine Worte nur getröpfelt waren, strömten sie nun als kalter Fluss.
    Sie fror darin; machtvoll donnernd riss er alles

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