Die Chronistin
das dunkle Gewand eines Studenten trug. »Ich hoffte stets, dass in Paris nicht Gleiches würde über uns kommen.«
»Ach was!«, gab ein anderer zurück. »Es wird schon rechtens sein, was sich hier zuträgt.«
Nun erspähte Sophia die mannshohen Scheiterhaufen ohne lästige Köpfe, die sich vor ihren Blick schoben. Die Scheiterhaufen waren aus Reisig errichtet, das prasselnd und gefräßig das Gut verspeiste, was man in seinen Rachen schob, und als Zeichen des reichen Appetits noch mehr Rauch ausspuckte.
Sophia stand wie erstarrt. Jetzt erst gewahrte sie, dass Cathérine ihr gefolgt war – und nicht nur diese. Ein zweites vertrautes Gesicht schälte sich aus der vorsichtig raunenden Menschenmasse. Christian Tarquam, der sich noch gelenkiger hatte den Weg durchstoßen können, erreichte eben Cathérine und sprach aufgeregt auf sie ein. Jene blieb blass – und stumm.
Eilig trat Sophia zu den beiden.
»Was zum Himmel geht hier vor?«, rief sie mit ausgetrockneter Kehle. »Was ist es, was dort brennt?«
Christians Augen waren rot unterlaufen – vom Rauch, vor Müdigkeit oder von unterdrückten Tränen.
»Gottlob keine Menschen«, murmelte er, und es klang viel hoffnungsloser, als sie ihn je hatte sprechen hören. »Noch nicht. Im Augenblick sind es nur... Schriften.«
Er verkreuzte seine Hände vor der Brust, als könne er sich so vorm Rauch schützen, der die Luft verpestete.
»Schriften?«, rief Sophia und erkannte unter der flirrenden Luft, die einem Spiegel gleich die Menschen und die Scheiterhaufen verzerrte, wovon das Reisigfeuer fortüber genährt wurde. »Aber wessen Werke?«
»Amaury de Bène. Vielleicht kennt Ihr seinen Namen«, bemerkte Christian düster.
»Natürlich kenne ich ihn. Théodore hat alles von ihm gelesen und ihn oft zitiert. Er hat sein Werk auch dem Dauphin nahe gebracht.«
»Eben«, murmelte Christian, »und deswegen brennen jetzt seine Schriften.«
Sophia schwindelte. Sie ahnte, dass es ratsam wäre, rasch zu begreifen, was hier geschah – und wollte sich zugleich in die tröstliche Unwissenheit flüchten.
»Aber ich verstehe nicht...«
Hastig drehte sie sich wieder um. Nicht nur Pergamentrollen nährten die Flammen, sondern auch kostbarste Bücher samt ihren edlen Hüllen aus Seide, samt ihrer Laschen und Quasten. Es blieb von ihnen nichts anderes übrig als verkohlte Metallkanten, pechschwarz überzogene Verschlüsse, die einst golden gewesen waren, und Nägel, die sich wie kleine schwarze Würmer in der Hitze runzelten. Unter den vielen fremden Gesichtern derer, die neben den Scheiterhaufen standen und manches Lebenswerk verheizten, erblickte Sophia das vertraute eines Mannes, der seine schmutzige Arbeit mit sichtlichem Wohlgefallen erledigte: Magister Jean-Albert, dem sie seinerzeit den Kopf zusammengeflickt hatte.
»Oh, diesem Nichtsnutz ist sein mageres Häuflein Klugheit schon längst zu ähnlicher Asche zerfallen, wie er sie nun so tüchtig erzeugt!«, rief sie empört, nachdem sie ihn erkannt hatte. »Gibt vor, der Heiligen Kirche zu dienen, und buckelt doch nur vor dem Altar, auf dem blinder Unverstand und dreiste Torheit stehen!«
»Amaury de Bène ist nicht der Einzige, der brennt«, fuhr Christian fort, ohne sich über ihre verächtlichen Worte zu amüsieren. »Auch David Dinant ist dabei, Mauritius Hispanus, verschiedene naturwissenschaftliche Werke. Und natürlich Aristoteles-Übersetzungen. Alle, die ihn jemals zitierten, hat’s erwischt. Eine Provinzialsynode unter Leitung von Robert de Courçon hat soeben ein Verbot all dieser Schriften beschlossen – und die buckelnden Professoren der Universität wie dieser dumme Magister Jean-Albert schließen sich dem Urteil diensteifrig an. Seht nur, welche Lust es ihm bereitet, all das zu verbrennen, was er nie verstanden hat! Zu verblödet ist er gar, um zu begreifen, dass es hier nicht um Aristoteles geht und mögliche Irrlehren, sondern...«
Er brach ab, aber schüttelte so heftig seinen Kopf, dass das große Amulett um seinen Hals klapperte.
Sophia fragte nicht, wie er seinen Satz hatte beenden wollen. Eine Furcht – viel dunkler und bedrohlicher als der Rauch – verätzte ihr den Hals.
»Théodore«, brachte sie hervor, »wo ist Théodore? Was sagt er zu alledem?«
Christian zuckte unmerklich zusammen, als nicht nur Sophia fordernd auf ihn zutrat, sondern auch Cathérine hilfesuchend seine Hand ergriff und noch bleicher wurde.
»Ich weiß nicht, wo er steckt«, sagte Christian, »ich hoffte, Ihr
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