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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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durchkommt!«, raunte sie ihm zu und fühlte sich zum ersten Mal an diesem Tag nützlich. Sie reichte ihm den schweren Sack, den sie bei Isaac ben Moshe geliehen hatte und dessen Zweck sie zum zweiten Male neu bestimmte.
    Christian dankte ihr nicht, sondern musterte sie schweigend. Beinahe hoffte sie, er möge sein klirrendes Gelächter ausstoßen und ihr beweisen, dass er ein Spötter und Taugenichts war und die Welt nicht aus den Fugen. Stattdessen schwieg er.
    »Verdammt!«, stieß sie aus – mehr zu sich selbst als zu ihm. »Verdammt!«
    Sie griff sich an die Stirne, es schwindelte ihr. Seit dem Morgen war sie auf den Beinen, ohne zu essen oder zu trinken.
    Behutsam trat Christian, der sich eben mit dem Geldbeutel zur Tür gewandt hatte, zu ihr und seufzte.
    »Ich frage mich, wie Ihr solches Schicksal auf Théodore lenken konntet... und auf Euch«, murmelte er traurig. »Ihr seid so belesen und begabt. Und Ihr seid eine so wunderschöne Frau – hat Euch das jemals ein Mann gesagt?«
    Rasch senkte sie die Hand.
    »Hört auf, solchen Unsinn zu reden!«
    »Das ist kein Unsinn«, entgegnete er überzeugt. »Gewiss seid Ihr nicht lieblich anzusehen wie manche jungen Mädchen. Doch Eure Züge sind ebenmäßig, klar und fein. Eure Lippen weich geschwungen. Der Blick Eurer hellen Augen so wach, so suchend – und irgendwie auch so verloren und so traurig.«
    »Hört auf!«, rief sie wieder dazwischen.
    »Ich verstehe Théodores Trachten«, fuhr er ungerührt fort. »Doch ich weiß, dass Ihr für ihn jene Laufbahn vorgesehen habt, die Euch selbst als Weib verwehrt geblieben ist. Ich weiß, dass er nicht nur all Eure Pläne durchkreuzt hat, sondern Euch abgeschnitten hat: von der Welt der Gelehrten und vom Königshof. Das tut mir Leid für Euch.«
    Er trat noch näher – so fordernd, wie er sie früher schon geneckt und bei ihren Abendmahlen das Weinglas erhoben hatte. Nie hatte sie sich damals die sanfte Sehnsucht eingestehen können – auch jetzt verschanzte sie sich hinter ihrem verschlossenen Blick.
    Christian aber scherte sich nicht darum, zog sie zu sich her, nicht männlich-roh, sondern freundlich weich – unschuldig auch, weil ihn kein Verlangen trieb, sondern Güte. So einlullend war diese, dass Sophia das Urteil vergaß, wonach er ein Nichtsnutz und Faulpelz war. Sein Griff war – inmitten des Wahnsinns dieses Tages – fest, sicher, gesund. Kein Zaudern lag darin, keine Scheu und zugleich kein Zwang, als triebe ihn bloß fremde, unbeherrschte Macht. Er berührte sie, weil er es wollte, und er tat es ohne Scham und Reue. Ihr wurde der Mund trocken, der Hals eng, und indessen Tränen in die Augen stiegen und sich in den Wimpern verfingen, dachte sie, wie wohlig es war, so gehalten zu werden – und zugleich wie schmerzlich, dass nie einer es vor Christian getan hatte. Sanft küsste er sie auf die Stirne und scherte sich nicht darum, dass die Haut nicht mehr jung und glatt war. Sie keuchte, weil sie nichts sagen konnte, einzig an das Verlangen denkend, sich noch fester an ihn zu pressen und bei ihm vor den letzten Stunden zu fliehen. Da spürte sie seine Abwehr – nicht, weil sie ihm leidig wurde, sondern weil ob der Umarmung das Amulett, das er stets um den Hals trug, aufgesprungen war und sein Inhalt auf den Boden fiel. Sie konnte kaum danach schauen und erspähte auch nichts anderes als etwas weiß Schimmerndes – da hatte er sich schon gebückt und es hastig aufgehoben.
    »Was tragt Ihr da mit Euch?«, fragte sie, und der kurze Zauber und die sachte Wärme ihrer Umarmung erstarben.
    Seine Lippen waren nicht mehr weich, sondern verzogen sich spöttisch. »Hab Euch’s doch schon einmal gesagt – es ist Futter für meine Ratte.«
    »Und danach bückt Ihr Euch so schnell, damit ich es nicht sehen kann?«
    Er zuckte die Schultern und sprach kein Wort. Rasch wischte sie sich über die Stirn, wo er sie geküsst hatte – oh, wie ein altes, rührseliges Weib hatte sie sich gebärdet, sich gar dem Mann an die Brust geworfen, von dem sie glaubte, dass er ihre Tochter Cathérine liebte und dieser zu Gefallen bereit war, den leidenden Théodore aus der Stadt zu schaffen.
    Schon wollte sie bekunden, wie sehr sie die eigene Schwäche bedauerte – doch Christian hatte nicht nur sein Amulett wieder geschlossen, sondern das Bündel Geld genommen und den Raum verlassen.
    Er lief in Cathérines Arme.
    »Wir haben zu lange gewartet!«, schrie sie verzweifelt. »Vier Ritter klopfen ans Tor! Sie fordern

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