Die Chronistin
Théodore!«
Sophia trat ihnen entgegen, ohne zu wissen, wie sie sich verhalten sollte. Drei der Männer saßen noch zu Pferde, nur der vierte war abgestiegen, um an das Tor zu schlagen. Unendlich langsamen Schrittes hatte sie sich diesem genähert – jene Zeit schindend, die Christian brauchte, um sich den halb ohnmächtigen Théodore über die Schultern zu wuchten und aus einem Fenster im hinteren Teil des Hauses zu steigen.
Sophia wusste nicht, wohin er ihn zu bringen gedachte – es war jetzo tiefe Nacht und die Mauern um Paris verschlossen. Vielleicht würde Christian ihn in sein schäbiges Zimmer mitnehmen, das er beim Place de Grève gemietet hatte, vielleicht in ein Freudenhaus, denn bei Huren würde man einen Gelehrten gewiss nicht suchen. Sophia konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, ob er ihr vorhin etwas von seinen Plänen verraten hatte.
Seitdem es laut am Tor geklopft hatte, war ihr Geist leer. So viel Unverdauliches war ihm heute eingebläut worden, und jetzt hatte sie einzig das Verlangen, es auszuspucken, anstatt langsam und mühsam zu begreifen.
Wortlos starrte sie die Männer an – zunächst nur gewahrend, dass deren Münder rufend geöffnet waren. Erst als sie zum dritten Mal ihr Sprüchlein wiederholten, begriff sie, was sie da sagten.
Sie forderten von ihr, dass sie ihnen Théodore de Guscelin bringen sollte – jener sei des Verrats am König angeklagt. Dessen Sohn Louis habe er mit aufrührerischen Reden aufgehetzt, die der Welt jegliche Ordnung absprächen und ergo dem Dauphin erlaubten, sich entgegen jedem christlichen Gebot wider den Vater zu erheben und noch zu dessen Lebzeiten die Krone zu fordern.
Sophia wusste nicht, was sie ihnen entgegenhalten sollte. Wie viel leichter wäre es zu schweigen! Wie viel leichter auch, sie einfach ihr Werk tun zu lassen!
Der Eifer, mit dem sich Cathérine, Christian und Isidora um Théodores Flucht bemüht hatten, belebte sie nicht. Sie wähnte sich nur unendlich müde – zu müde, um dagegen anzugehen, dass alles verloren war und nichts geblieben, worum es sich zu kämpfen lohnte.
»Ma Dame! Hört Ihr mich nicht? Wir sind gekommen, um Théodore de Guscelin zu holen.«
Ein Zweiter war vom Pferd gestiegen und trat bedrohlich auf sie zu. Er trug ein Kettenhemd über dem braunen Lederwams und an seinem breiten Gürtel ein mächtiges Schwert.
»Er ist der Sohn meines verstorbenen Mannes«, murmelte Sophia träge, »das gewiss... doch er ist nicht hier.«
Sie ahnte, dass sie mehr Worte machen sollte, um das gewaltsame Eindringen hinauszuzögern, und konnte sich in Wahrheit nicht entscheiden, was sie schlimmer deuchte: dass Théodore in den Kerker geworfen und später verbrannt wurde oder dass er in Christians Armen verblutete.
Verloren... alles verloren.
»Ihr erlaubt, dass wir selbst nach ihm suchen!«, befahl der Mann mürrisch.
Sophia nickte hilflos. Während sie die Türe kampflos freigab, schoss vom dunklen Inneren jedoch ein Schatten aus dem Haus, viel lebendiger und furchtloser als Sophia. Noch ehe die Männer des Königs begriffen, welche Furie da auf sie zustürzte, stand Isidora schon mitten auf der Straße, um für Mélisandes Sohn zu kämpfen.
Kaum hob sich ihr schwarzes Kleid von der Dunkelheit ab. Die Augenbinde glich einem tiefen Loch – desgleichen der zänkische Mund. Er schrie Flüche in fremder Sprache und ward von ihren fuchtelnden Armen dirigiert.
Verwirrt blickte sich der Mann, der eben an Sophia hatte vorbeidrängen wollen, nach der Wahnsinnigen um; die beiden anderen, die eben vom Pferd hatten steigen wollen, hielten sich ängstlich am Zügel fest, da die Tiere die schreiende Frau scheuten.
»Isidora! Was treibst du denn?«, rief Sophia.
»Rührt Théodore an und Eure Hände sollen verfaulen und niemals wieder ein Schwert halten können! Richtet Euch gegen ihn – und dieser Frevel wird Euch niemals vergeben!«
Misstrauisch duckten sich die Männer, weniger von ihren Worten eingeschüchtert als von den verschwörerischen Gesten und schließlich den fremdländischen Lauten, die sie mehr gurrend als schreiend hinzufügte.
»Bewegt Euch fort!«, zischte der eine Reiter ihr zu, während der andere zu kämpfen hatte, das störrische Pferd ruhig zu halten und selbst zwischen den hohen Wülsten, die vorne und hinten am Sattel festgemacht waren, aufrecht zu bleiben. Schon schüttelte das Tier unruhig seinen Kopf, und weißer Schaum trat aus dem Maul.
»Wenn Ihr dieses Haus betretet, so wird Eure Manneskraft auf immer
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