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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Euch selbst hergewagt habt, anstatt Euren Sohn wie einen Lakaien zu schicken. Schon damals begann dieser graue Hof zu erwachen und zu glänzen – und noch mehr setzte es sich in der folgenden Zeit fort. Mein Gatte und ich haben das Leben hier verändert. Oh ja, ich habe mich an Euren Rat gehalten, etwas zu suchen, woran sich das Herz hängen lässt. Ich tat’s, indem ich den Gestank vertrieb und den Rauch und meine Hofdamen anwies, dass sie Lesen und Schreiben 1ernen. Bei den abendlichen Festen hier am Königshof waren die besten Musikanten und Sänger von Paris geladen, Geschichtenerzähler, die alle Zuhörer packten, und schließlich Akrobaten, Feuerfresser und Degenschlucker. Keiner der ausländischen Gesandten lachte über das kleine Frankreich und das provinzielle Paris. Plötzlich galten die Sitten, die hier herrschten, die Speisen, die gereicht wurden, die Kleidung an den Leibern schöner Frauen und tapferer Ritter als Vorbild in ganz Europa – so wie einst in den Zeiten der großen Eléonore d’Aquitaine. Und das war nicht alles: Mein Gatte und ich folgten auch Théodores Rat, uns nicht nur auf seine Lehren zu verlassen, sondern die Nähe anderer gelehrter Männer zu suchen. Über Philosophie und Theologie sprachen wir mit ihnen – und natürlich auch über die Politik. Das alles tat ich, weil Ihr mir gesagt habt, ich hätte das Recht dazu!«
    Sie war vor Sophia stehen geblieben, hob heftig den Arm, als diese ihr ins Wort fallen wollte, verfiel schließlich aber wieder ins Schweigen. Unter dem trägen Glotzen ihrer Hofdamen – ausdruckslos wie stets, ganz gleich, ob ihre Prinzessin sich im Kindbett quälte oder in einem Machtkampf mit dem König – setzte sie sich auf einen Stuhl und senkte den Kopf, sodass ihr das Haar ins Gesicht fiel.
    Sophia betrachtete die gebeugte Gestalt und vergaß, die stürmischen Fragen zu stellen, mit denen sie hierher gehastet war. Viel früher hätte sie fragen sollen, von Théodore zu wissen verlangen, was am Hofe vorging, wie stark die Partei war, die laut nach Philippes Verdiensten fragte und den alternden König mit dem jungen, ehrgeizigen Thronfolgerpaar verglich.
    War er, der seit Jahren nichts anderes wollte als seine Gattin Isambour loswerden, ein guter König?, überlegte mancher. Hatte er das Land nicht über Jahrzehnte in einen aussichtslosen Krieg mit England gehetzt? Und war der Hof nicht viel behaglicher geworden, seitdem die kundige Blanche dort regierte?
    Schnell konnte in solchen Fragen die Forderung keimen, Louis möge noch zu Philippes Lebzeiten zum König gekrönt werden, möge die Regierungsgeschäfte übernehmen!
    »Ma Dauphine«, setzte sie an.
    Manches war ihr klarer nun, anderes lag immer noch im Nebel. Offenbar war es dem König gelungen, den möglichen Rivalen schon im Voraus zu entmachten – und er hatte des Papstes Kampf um die Rechtgläubigkeit der Pariser Universität dazu benutzt. Allerdings begriff sie nicht, auf welche Weise er das getan hatte.
    Blanche aber verweigerte ihr die Auskunft.
    Zwar schüttelte sie sich die Haare aus dem Gesicht und sprach mit ungedämpfter Stimme. Die Worte waren freilich grob.
    »Schert Euch zum Teufel, ma Dame!«, kam es verbittert.
    »Ich habe das nie beabsichtigt!«, verteidigte sich Sophia. »Hätte ich dergleichen nur geahnt... ich hätte niemals...«
    »Schert Euch zum Teufel, ma Dame!«, wiederholte Blanche. »Lieber wäre ich eine weinerliche Wöchnerin geblieben als eine derart Beschämte. Schon brennen gute Männer am Place de Noisy, nur weil sie im Verdachte stehen, sich gegen den König erheben zu wollen und den Dauphin auf den Thron zu setzen. Jener nun wird über lange Jahre vor ihm zu Kreuze kriechen müssen. Ihr habt mir geraten, mich niemals umzudrehen nach dem sonnigen Land meiner Kindheit – doch nun, da ich mich an diesen Rat gehalten habe, wo blüht mir denn noch eine strahlende Zukunft? Ihr habt gesagt, es stünde mir zu, ein freudvolles Leben zu ertrotzen – doch ist es nicht jetzo umso bitterer, alle meine Werke verderben zu sehen? Besser wär’s, ich hätte mich dem Gesetz unterworfen, wonach ein Weib zu schweigen hat – und zu gebären.«
    Die Stille, die folgte, war schmerzhafter als die Worte. Nicht nur Blanches Stimme hallte darin – auch die Stimmen der vielen Weiber, die irgendwann in ihrem Leben vor Sophia getreten waren und sie verflucht hatten. Hohler freilich klangen jene – leichter war’s, sie zu übertönen.
    »Was immer ich verbrochen habe«, setzte Sophia an,

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