Die Chronistin
Sophia, dass sie ihre letzten Worte verstanden hatte, denn es floss nicht nur weiteres Blut in die gelbweißen Züge, sondern es breitete sich dort auch ein wenig Frieden aus.
Die Gänge des Königspalastes waren verändert. Es stank weder nach der Kloake noch nach verfaulten Binsen. Die kalten Mauern waren mit schönen Wandbehängen verdeckt, der Boden mit Lederteppichen; der Rauch von Lampen und Fackeln schließlich stand nicht stickig, sondern war von angenehmen Gewürzen durchsetzt, die man ins Feuer geworfen hatte.
Sophia war das letzte Mal am Tag des leidigen Turniers hier gewesen. Noch deutlicher als damals fiel ihr auf, wie Blanche die Hofhaltung verändert hatte: Ein in die Schönheit verliebter, zugleich hungriger und bedachtsamer Geist hatte aus der finsteren Burg einen Hort der feinen Manieren, der höfischen Dichtkunst und Musik und schließlich auch der Bildung gemacht.
Umsonst..., ging Sophia erneut durch den Kopf, alles verloren.
Sie hatte die ganze Nacht wach gelegen, war beim Morgengrauen hierhin aufgebrochen und stieß nun auf lähmende Grabesstille. Gleichwohl sie sich fremd fühlte, erkannte man sie: Manche Legende hatte sich um die Frau geflochten, welche der Dauphine einst das Leben gerettet hatte.
Freilich wollte ihr niemand sagen, in welchem Gemütszustand sich die Prinzessin heute befand. Sie musste es selbst herausfinden, nachdem sie deren Gemächer betreten hatte – und Blanche sitzend vorfand.
Für Augenblicke schien es, als würde sie schlafen, so steif hockte sie. Einzig von Frauen umgeben, hatte sie es unterlassen, das Haar hinter dem Gebende zu verbergen. Sie trug die dichten, rötlich-braunen Strähnen offen, und das kleine, runde Gesicht, das trotz des fortschreitenden Alters kindlich anmutete, schien in diesem weichen Kranze zu versinken.
Sophia trat näher und erinnerte sich an die Blanche von einst – im Kindbett liegend, zerbrechlich, traurig und doch auch so willensstark und stur.
Ein Ruck ging durch den schmalen Leib, als sie sich jäh erhob und Sophia kühl musterte.
»Ich komme wegen Théodore, dem Sohn meines toten Gatten«, erklärte Sophia schnell. »Man heißt ihn einen Verräter des Königs. Er musste vor dessen Schergen fliehen.«
Blanches Blick erwärmte sich nicht, und wieder duckte sich Sophia unwillkürlich – wie in der Nacht vor Isidoras ersterbendem Auge und schließlich Cathérines anklagendem Gesicht. Die gab ihr an allem die Schuld. An Théodores schmählichem Ende an der Universität. Seiner Flucht, Isidoras Tod.
Blanche zumindest verzichtete vorerst auf Vorwürfe.
»Ihr habt gesagt«, begann sie mit einer festen und zugleich raunzenden Stimme, »dass Bücher nicht gefährlich seien...«
Sophia schluckte trocken. Blanche hatte ihre Damen nicht angewiesen, den Raum zu verlassen. Steif standen sie nun um die beiden Frauen und beobachteten Sophia mit Misstrauen und leisem Tadel.
»Im Übrigen«, fuhr Blanche fort, »gilt nicht nur Théodore als Verräter, sondern auch mein Gatte Louis.«
»Aber er ist der Dauphin!«
»Eben darum!«, sagte Blanche fest. Ein neuerlicher Ruck ging durch die zarte Gestalt. Im letzten Jahr hatte sie Zwillinge getragen, jedoch die beiden lang vor dem vorgesehenen Zeitpunkt der Geburt verloren. Seitdem hatte sie nicht wieder empfangen – knabenhaft war die kantige Figur. Sie glich der des kleinen Pagen, der sich mit den anderen Damen duckte – darauf dressiert, der Prinzessin beim Mahle ihr Fleisch zu schneiden und ihre Hunde zu streicheln.
Die Dauphine sagte kein Wort mehr und überließ es Sophia, sich aus dem rüde Gesagten etwas zusammenzureimen.
Der Dauphin... im Verdacht des Verrats... wie willkommen, um ihn zurechtzustutzen...
Gar manchen Königssohn traf ähnliches Schicksal. Zunächst sehnlich erwartet und stolz begrüßt, begann manch König seine Brut zu hassen und zu fürchten, kaum dass sie erwachsen war und fähig, den Vater vom Thron zu stoßen.
Der König ist voll des Misstrauens, hatte Frère Guérin einst gesagt. War es verwunderlich, dass dieser Argwohn nun den eigenen Sohn traf? War es nicht auch bekannt, dass er den Dauphin gerne mit schwierigen Aufgaben fort von Paris schickte und ihn bei gefährlichen Schlachten einsetzte?
Blanches Lippen bebten. Wiewohl eben noch zum trotzigen Schweigen entschlossen, vermochte sie es nicht zu unterlassen, Sophias zaghafte Gedanken noch weiter anzustoßen.
»Seht Euch um hier!«, rief sie jäh laut und herrisch. »Es muss einige Jahre her sein, da Ihr
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