Die Chronistin
ihn zu und hob die Hände, als wolle sie ihn schlagen – so wie einst in der ohnmächtigen Stunde, da er sie abgewiesen hatte. Trotzdem seine Gestalt steif anmutete, schnellte seine eigene Faust vor und packte sie – viel fester, als sie es den schlaffen Sehnen zugetraut hatte.
»Beruhigt Euch!«, rief er heftig.
»Fasst mich nicht an!«, geiferte sie zurück und bedeckte sein Gesicht mit Tröpfchen ihres Speichels. »Denkt nicht, dass ich auch noch dankbar bin!«
Halb ließ er sie los, halb stieß er sie zurück.
»Ihr vergesst Euch, ma Dame!«, rief er, und sein Atem ging heftig.
»Und wenn Ihr Théodore als schwach und bleich benennt – was trennt Euch von ihm? Ihr begnügt Euch, im Schatten zu stehen, stets nur der Zweite zu sein und Euch dem König als Hure anzudienen, die im Dreck watet, den er hinterlässt.«
»Nun, anders als Ihr – die Ihr Euch mit ganz ähnlichem Schicksal zufrieden gabt – hab ich mein Ziel erreicht!«, gab er erbost zurück. »Und was Euren Stiefsohn anbelangt – ich kann nichts für ihn tun. Bittet meinetwegen beim König für ihn – nicht bei mir.«
»Ich sah den König das letzte Mal vor zwanzig Jahren!«
Sophia versteckte die Hände hinter dem Rücken, um sich kein zweites Mal hinreißen zu lassen, ihn zu schlagen.
Frère Guérin zuckte die Schultern, als wolle er sein heftiges, lebendiges Gebaren von sich abschütteln.
»Nun«, sprach er mit aufgesetzter Gleichgültigkeit, »ich wüsste, wie Ihr ihm nahe kommen könnt, nun, da Philippe Isambour wieder als sein Weib anerkennt. Am Pariser Hof wird sie leben – und ich kann mir denken, dass die Damen von Blanche eine Schwachsinnige wie sie scheuen werden. Ihr auch, Sophia?«
Sophia kehrte in ein verlassenes Haus zurück.
Théodore war fort, und Gott allein wusste, ob er wiederkehren würde. Cathérine versteckte sich in ihrem Gemach, auf dass sie der Mutter nicht begegnen musste. Isidoras Leichnam war von der Straße geschafft worden wie einst der von Mélisande.
Sophia floh in die Schreibstube.
Ich darf es nicht aufschreiben, dachte sie. Nichts von Théodores absichtlich herbeigeführtem Scheitern. Nichts von Isidoras Tod. Nichts von der Begegnung mit Frère Guérin. Es soll nicht wehtun. Es darf nicht wehtun.
Ich werde dagegen ankämpfen, und ich werde es ungeschehen machen. Und bis dahin muss ich das Unwichtige vom Wichtigen trennen.
Aus der Chronik
Im Sommer 1214 sammelte sich das mächtige Heer der welfisch-angevinischen Allianz. Deren Ziel war es nicht nur, den Thronanspruch Ottos endgültig gegen den jungen Staufer Friedrich durchzusetzen, sondern auch, die capetingische Monarchie für immer zu vernichten.
Vom Papst unterstützt zog der junge Friedrich von Italien aus ins Deutsche Reich, wo er einige Fürstentümer im Sturm einnahm. Doch seinen Bündnispartner Frankreich konnte er nicht rechtzeitig erreichen. Ganz alleine musste sich König Philippe der riesigen, feindlichen Übermacht entgegenstellen.
1200 schwere Reiter zählte sein Heer und ebenso viele leichte Reiter. Hinzu kamen 4500 Kämpfer zu Fuß. Und doch waren jene Massen nichtig im Vergleich zum welfisch-angevinischen Bündnis.
Die Heere trafen sich bei Bouvines – und schlecht sah es anfangs für Philippe aus. Mit Hakenlanzen wurde er zu Boden gerissen, wo er nur mühsam gedeckt werden konnte, und geriet solcherart in Lebensgefahr.
Doch zu früh hatte sich Otto der Welfe gefreut, dass Gott auf seiner Seite stünde. Schon fiel er vom Pferd – und es war dies der Augenblick, da sich das Kriegsglück zugunsten des kleinen Frankreichs wendete.
Vielleicht war dies geschehen, so murmelten manche frommen Seelen später, weil König Philippe vor der entscheidenden Schlacht den Streit mit dem Papst aufgegeben und sein verstoßenes Weib wieder aufgenommen hatte. Hielt sich nicht seit Jahren das Gerücht, dass Isambour kein gewöhnlicher Mensch sei, sondern ein von Gott begnadeter? Hatte sie nicht all die Jahre, da sie vom Hof verstoßen war, im Gebet zugebracht?
Gott hatte Erbarmen mit ihr. Und weil Philippe sich wieder zu ihr bekannte, so hörte man an allen Ecken tuscheln, hatte Gott auch Erbarmen mit ihm.
Als Isambour an den Königshof zurückkehrte, zählte sie siebenunddreißig Jahre, aber trug das Antlitz einer uralten Frau.
Ihr Gesicht, einstmals weiß und glatt, war verdörrt wie ein verschrumpelter Apfel, das Haar dünn und weiß. Man hatte ihr bessere Kleidung angelegt, als ihr in Étampes zugestanden worden, doch das königliche
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