Die Chronistin
Rot kündete nicht von der neu gewonnenen Würde, sondern faltenwerfend einzig davon, dass diese Frau zu alt, zu geschunden, zu ausgezehrt war, um das Unrecht wieder gutzumachen.
Sechs Monate war es nun her, dass Ritter des Königs sie gebracht, die Hofdamen von Blanche ihr die Kemenate eingerichtet, Pagen ihr schließlich teure Speisen serviert hatten – doch immer noch war’s offensichtlich wie am ersten Tag, dass keiner sich ehrlich bemühen wollte, die Königin mit ihrer neuen Heimat vertraut zu machen, anstatt sie bloß dorthin zu stellen wie eine Spielfigur.
Vielleicht ahnten sie – wie es Sophia wusste –, dass auch herzlicheres Gebaren und echter Respekt nichts gefruchtet hätten.
Die rosigen Wangen und die blauen Augen hatten einstmals zumindest glauben gemacht, Isambour besäße Geist. Nun war jener Betrug nicht zu wiederholen. Die Augen waren fast gänzlich ins Weiße gerutscht, zwei leere Löcher, obendrein fast erblindet.
Niemand wunderte sich darum, dass der König sich bislang geweigert hatte, das wieder aufgenommene Weib persönlich zu begrüßen. Vielleicht hoffte er, dass er genug getan habe, um seinen guten Willen zu bekunden, und dass er sie bald noch abgelegener würde verstecken können als in dieser Kemenate, in die sich kaum ein Mensch wagte.
Doch eben dies, so hatte Sophia in jenem entscheidenden Juli des Jahres 1214 beschlossen, durfte nicht geschehen!
Die Beschämung, dass die schwachsinnige Isambour durch widersinniges Geschick ihr einziges dünnes Band geworden war, mit dem sie sich Zugang zum Hofe verschaffen konnte, war längst dem Trotz gewichen. Hartnäckig wie in den Tagen, da sie nach nichts anderem trachtete, als die wortlose Prinzessin auf den Thron zu heben, weil daran das eigene Lebensglück hing, war sie jetzt entschlossen, der Königin zu mehr Würde zu verhelfen als die scheuen Dienstboten, die sie wuschen und fütterten.
»Nehmt Ihr die Haube ab!«, befahl sie heute entschlossen. »An einem Tag wie diesem soll sie sich von den anderen Weibern abheben!«
Die Frauen blickten erstaunt – Gret missmutig.
Schon am ersten Tag, da Sophia mit ihr zusammengetroffen war, hatte sich die zähe, schmaläugige Dänin als größtes Hindernis erwiesen. Wuchtig und entschlossen wollte sie sich vor Sophias Absicht schieben, sich der Königin anzudienen, solcherart den königstreuen Willen zu beweisen und schließlich Blanche nahe zu kommen, um deren Gunst zurückzugewinnen und Théodores Verbannung aufzuheben. Hatte der König nun, da er sich zur größten aller seiner Schlachten rüstete, sich nicht wieder mit dem Sohne versöhnt? War nicht ähnlicher Gnadenakt dem ausgestoßenen Gelehrten zuzubilligen?
Gret wollte sich um solches Trachten nicht scheren.
»Dass Ihr es wagt, Euch an ihre Seite zu stellen!«, hatte sie Sophia böse zugezischt. Ihre schwarzen Augen glänzten lebhaft wie früher – und hasserfüllt. »Oh, Ihr solltet vor Scham versinken!«
»Mein Schamgefühl vermag so wenig auszurichten wie dein Fluch«, hatte Sophia zurückgegeben. »Ich bin die Einzige in diesem ganzen Lande, die zum einen Isambours Gebaren zu deuten, folglich damit umzugehen weiß und die zum anderen Kenntnis besitzt, wie man sich am Pariser Königshof zurechtfindet. Will Isambour Königin bleiben und kein zweites Mal in ein stinkendes Loch verbannt werden, sollte sie mir folgen – was gleichsam heißt, du musst es auch.«
»Habt Ihr nicht die Lügen gesponnen, die sie zu Fall brachten?«, entgegnete Gret mürrisch. »Und sollte man Euch dafür nicht zur Rechenschaft ziehen?«
»Zum Preis, dass er sie nun endlich zurücknimmt, hat der Papst dem König all seine Sünden verziehen. Denkst du, man würde sich an die Worte eines Weibes, wie ich eines bin, erinnern wollen? Wenn du mich schlecht machst, Gret, so schwöre ich dir, siehst du die Königin nie wieder. Denn während an einer wie dir noch die Spinnweben von Étampes kleben, verfüge ich hier über Macht und Einfluss!«
Sie schämte sich nicht, so dreist zu lügen. Gret hatte kaum gelernt, französisch zu sprechen, und wurde ob ihres fremden Aussehens – das dunkle Haar von einst war schlohweiß geworden – noch mehr gescheut als Isambour selbst.
So oblag es allein Sophia, über Isambours Geschick zu entscheiden und dafür zu kämpfen, dass der König ein sichtbares Zeichen setzen würde, dass er nicht nur für kurze Zeit, sondern für immer an diesem Eheweib festhalten wolle.
»Sie soll einen Stirnreif mit glänzenden
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