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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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fällt der Besitz ganz mickrig aus. Und so verkaufe ich, was von den Schändlichen bleibt. Manchmal verschenke ich ein abgehacktes Körperglied auch einem Bettler, damit dieser seine gesunden Beine unter den Lumpen verbergen kann und mit dem halbverfaulten des Gehenkten alle glauben lässt, er sei ein Krüppel. Und die Zähne und Haare... Oh, bitte, bitte verratet mich nicht!«
    Endlich gelang es Sophia, des Würgens in ihrer Kehle und des Zitterns ihrer Hände Herr zu werden.
    »Verschwinde!«, zischte sie. »Hau ab! Aber verrat mir vorher, warum meine so fromme, gottgefällige Tochter deine scheußlichen Gaben braucht!«
    Jehanne griff hastig nach dem Lederbeutel und richtete sich wieder auf. »Ich habe nie danach gefragt«, jammerte sie. »Allein, ich weiß... auch von anderen Weibern... dass solche Dinge nötig sind... für den Liebeszauber.«
    Das Mädchen Jehanne nützte Sophias verwirrten Blick, um panisch an ihr vorbeizuhuschen und das Weite zu suchen. Gerne hätte Sophia sie noch aufgehalten – niemals jedoch freilich ihre Gestalt berührt.
    Liebeszauber, dachte sie, was braucht Cathérine den Liebeszauber, wenn all ihr Sehnen sich auf Théodore richtet...
    Théodore!
    Ihr Geist kehrte zu dem zurück, den sie in diesem Raum gesucht hatte. Hastig ließ sie von ihren Gedanken an Jehanne ab, als würde sie einen fauligen Bissen ausspucken. Wenn Cathérine nicht hier war, so hockte sie gewiss bei der Dauphine – und wenn Théodore jene nach seiner Rückkehr zuerst aufgesucht hatte, so war er vielleicht auch heute dort anzutreffen.
    Oh, wenn es nur wahr wäre!
    Hastig verließ Sophia den Raum, um mit letztem Blick zu gewahren, dass Jehanne zwar den Lederbeutel mit sich genommen hatten, die grausige Blutphiole, Haarlocken und Fingernägel jedoch noch immer auf dem kalten Boden lagen.
    Sie traf erst drei Tage später mit Théodore zusammen.
    Bis dahin entzog er sich ihr und schien den Königspalast als Labyrinth zu nutzen, in dem er sie auf Irrwege führen konnte und an deren Ende sie Blanche oder Cathérine stets ins Leere laufen ließen.
    Cathérine hatte sich nicht nehmen lassen, wieder mit der Mutter zu reden und ausführlich von Théodore zu berichten – vor allem, um der Verhassten unter die Nase zu reiben, dass ihr der Bruder viel näher stand als Sophia.
    Ja, tatsächlich wäre er heimgekommen nach Paris. Bei dem langen Gespräch, das er mit der Dauphine Blanche geführt hätte, wäre sie dabei gewesen.
    Demütig habe er sich dabei gezeigt, zurückhaltend und noch voller Scheu ob einer Welt, die ihn nach der langen Einsamkeit fremd, aufdringlich und laut deuchte. Blanche war bereit gewesen, ihm zuzuhören, schenkte ihm alsbald die Versöhnung, die sie Sophia immer noch verwehrte, und glaubte ihm, dass er allen häretischen Lehren abgeschworen habe.
    »Was für ein Unsinn!«, rief Sophia dazwischen. »Er kann doch nicht...«
    Cathérines Wangen glänzten wie im Fieber. »Die Dauphine hat ihm angeboten, ihren ältesten Sohn Philippe zu unterrichten – und das bedeutet, er bleibt in Paris und bei mir!«, rief sie.
    Die Selbstgerechtigkeit der Tochter machte jede Freude über Théodores Heimkehr zunichte. Sophia haderte damit, dass er das Gespräch mit Blanche gesucht und sich mit ihr wieder gut gestellt hatte – mit der Stiefmutter aber nicht.
    »Ich habe ihm mein Wissen nicht geschenkt, damit er es an Kinder verscherbelt!«, rief sie wütend.
    Cathérine wandte sich naserümpfend ab und ließ sich nicht herab, der Mutter zu verraten, ob Théodore dem Vorschlag zugestimmt hatte und wo in Paris er im Augenblick lebte.
    Am vierten Tage unterließ es Sophia müde, nach ihm zu forschen, sondern suchte stattdessen am stillsten Ort des Königspalastes Zuflucht – bei Isambour.
    Frankreichs Königin lebte zurückgezogen wie eine Nonne, verbrachte den Tag damit, zu schweigen und in seltenen, wachen Stunden farblose Teppiche zu weben, in denen sich zwar nie ein ungewollter Knoten verspann, aber die den Betrachter doch einfach und lieblos deuchten. Vom reichlichen Essen nahm sie wenig, aber das genügte, um die runzelige Haut zu glätten und die knöchrige Gestalt aufzupolstern. Manchmal versteckten sich ihre halb blinden Augen nicht hinter den Lidern, sondern stellten sich den verschwommenen Konturen der Welt, ohne zu erschrecken oder sonstigen Anteil zu nehmen.
    Sophia sank neben sie nieder, erleichtert, dass die bösartige Gret für kurze Augenblicke nicht neben der ansonsten so besitzgierig Angebeteten hockte,

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