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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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wurde.
    Diese scherte sich nicht um das schreckhafte Gebaren.
    »Wo... wo ist Cathérine?«, verlangte sie barsch zu wissen.
    Hastig verbarg das Mädchen das heimliche Mitbringsel in der Faust und steckte jene in die Tiefe ihres faltigen Rocks. Erst jetzt fiel Sophia auf, dass der aus einem rauen Stoff, an den Rändern schmutzig und an den Nähten mit vielen Flicken versehen war. So sah keine Magd bei Hofe aus.
    »Bitte...«, klagte das Mädchen, »bitte... Ihr dürft mich hier nicht sehen!«
    Sophia furchte die Stirne. Gerne hätte sie über die absonderliche Gestalt hinweggesehen, die im Palast gewiss nichts zu suchen hatte, doch da sie sie an Cathérines statt hier aufgestöbert hatte, blieb ihr nichts anderes übrig, als das strähnige, ungekämmte Haar zu mustern, die sonnenverbrannte Haut im Gesicht und am Hals und schließlich den Ausdruck tiefer Verzweiflung, weil sie ertappt worden war.
    »Wer bist du? Und was treibst du bei meiner Tochter!«
    Das Mädchen war den Tränen nah. »Bitte... Ihr dürft mich hier nicht sehen... Ich bin eine Verfemte...«
    Angstvoll kauerte sie sich auf den Boden.
    »Deinen Namen!«, forderte Sophia schrill.
    Das Mädchen heulte auf. »Jehanne«, tönte es klagend.
    »Also, Jehanne! Was treibst du hier? Soll ich die Wachen mit ihren großen, scharfen Schwertern rufen lassen?«
    »Bitte nicht... bitte nicht!«
    Ungeduldig trat Sophia auf sie zu. Der Schrecken, der sie – halb freudig, halb verwirrt – überkommen hatte, machte sie beweglich nach all den starren Monaten, die hinter ihr lagen. Sie packte Jehanne an der Schulter, zog sie hoch und umgriff schließlich das Handgelenk jener Faust, in der sie ihr Mitbringsel verborgen hielt. Mit einem ängstlichen Schrei öffnete das Mädchen die Finger, ließ einen kleinen Lederbeutel fallen und sah mit aufgerissenen Augen zu, wie dieser über den verfliesten Boden rollte. Die losen Schlaufen öffneten sich, und hervorgequollen kamen abgeschnittene Fingernägel, einzelne Haarsträhnen und schließlich eine Phiole mit rötlichem Wasser – wohl Blut.
    Ob des schauerlichen Anblicks fuhr Sophia zurück und ließ Jehanne augenblicklich los.
    »Was hat das zu bedeuten?«, versuchte sie sich den Ekel fortzuschreien. Würgend stieg jener ihr durch die Kehle – noch mehr aber ein widerlicher Verdacht, wer denn das Mädchen war.
    Stockend und tränenreich begann jene schon zu gestehen und eine verworrene Geschichte zu erzählen.
    »Ich bin das Weib... des Henkers von Paris«, begann Jehanne, und die schmächtigen Schultern zitterten in einem fort wie die Stimme. »Ich habe ihn heiraten müssen, auf dass mein Leben gerettet sei... denn es steht im Gesetz, dass der Henker eine Kindsmörderin vorm Tod bewahren kann, wenn er sie zur Frau nimmt... und eine Kindsmörderin war ich, Gott verzeih mir die Untat, aber der Sohn des Nachbarn legte sich auf mich, ohne dass ich’s wollte, und nachdem ich empfangen hatte, war’s nicht mehr wegzumachen... und so warf ich’s später in die Seine, aber das Kindlein ging nicht unter. Das Kindlein ging einfach nicht unter... Es ward beschlossen, dass ich – in einem Sack eingenäht – gleichermaßen den dunklen Fluten zu übergeben sei. Der Henker aber, dem es zusteht, eine Kindsmörderin zu begnadigen, wenn er sie denn nur heiratet, hatte Mitleid mit mir... und deswegen lebe ich noch... und deswegen bin ich hier...«
    Sie stockte, indessen Sophia noch weiter zurücktrat. Grauen überkam sie. Der Henker und seine Familie waren verrufen – niemand durfte mit ihnen sprechen oder sie ins Haus laden. Wenn man ihnen begegnete, so war’s geboten, die Straßenseite zu wechseln, denn der Scharfrichter war sogar noch verrufener als die Nachtwächter, die zur finsteren Stunde die Straßen durchstreiften und mit den Geistern redeten, wenn ihnen langweilig wurde.
    Unmöglich war es, sich vorzustellen, dass Cathérine die Gattin des Henkers hierher gebeten und nach dem Inhalt dieses Lederbeutels verlangt hatte, auf den Sophia angewidert blickte.
    »Das sind die Fingernägel, das Haar und das Blut eines Hingerichteten, nicht wahr?«, fragte sie und kämpfte neuerlich gegen das Würgen an.
    »Oh, bitte verratet mich nicht!«, heulte Jehanne. »Denn gewiss... so ist es. Cathérine de Guscelin verlangt diese Gaben – und sie bezahlt sie gut. Wir hingegen brauchen das Geld; nicht viel ist’s, was mein Gatte sonst bekommt. Zwar darf er sich am Nachlass der Toten bedienen, wenn diese keine Verwandtschaft haben, doch meist

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