Die Chronistin
sein könnte... und auch, dass ich von dieser zweiten Fassung wusste. Ihr hattet Recht, überrascht zu sein, weil ich vermeinte, davon zum ersten Mal zu hören. Die Wahrheit ist, dass ich dabei war, als Sophia die erste... verbrannte... und den Entschluss fasste, die Chronik noch einmal gänzlich neu zu schreiben. Und plötzlich wusste ich auch...«
Sœur Yolanthe hatte neugierig zugehört, doch als Roesia abbrach, wollte sie sie nicht mit Fragen bedrängen.
»Nur ruhig, Mutter Äbtissin, ruhig! Der Schrecken sitzt Euch in den Knochen – ganz gleich, was ihn bedingt hat. Atmet langsam und bedächtig. Und dann trinkt Ihr Wasser, und ich werde zusehen, dass ich die Krankenschwester hole, auf dass sie Eure Wunde...«
Weiter kam sie nicht.
Im Gang draußen braute sich ein Stimmengemurmel zusammen, floss durch die Ritzen wie das beginnende Tageslicht und steckte alle an. Früher war jedes laute Wort verboten gewesen – heute war es das unheilvolle Zeichen, dass erneut Schreckliches geschehen war.
Eine Weile starrten sich Sœur Yolanthe und Roesia betroffen an – ehe Erstere die Zelle verließ und erforschte, was das Getöse zu verheißen hatte.
Die Antwort kam von Sœur Brunisente – und Roesia hörte sie durch die angelehnte Türe.
»Sœur Eloïse ist tot wie die anderen!«, schrie die Schwester, die die Mesnerin des Stifles war.
Roesia begann am ganzen Leib zu zittern. Ihr Gesicht fühlte sich taub an, und erstmals spürte sie einen stechenden Schmerz im geschwollenen Auge.
»Wo... wo hat man sie gefunden?«, hörte sie Sœur Yolanthe fragen.
Die Antwort bereitete Roesia einen noch größeren Schrecken.
Kapitel XVII.
Anno Domini 1218
Sophia verstand nicht, was Cathérine ihr sagen wollte. Deren Sätze hagelten wie grobe Körner auf ihr Gemüt, aber prallten davon ab. Sie wartete, dass die Tochter sie endlich anklagen möge, verzweifelt die Gewissheit bekräftigen, dass sie ein grauenhaftes, weil sündiges, ehebrecherisches Weib wäre. Hernach würde sie zu Théodore laufen, ihm das Herz ausschütten, ihn zum Bleiben bewegen...
Doch Cathérine klammerte sich nicht an seine weißen Hände, sondern an die der Mutter. Vor ihr war sie niedergesunken, wiederholte vorigen Satz, wonach ihre Seele verloren wäre, wenn Théodore tatsächlich ihr Bruder war, und würgte schließlich ein tränenreiches Geständnis hervor.
Das erste, was davon Sophias Geist erreichte – verspätet und verlangsamt –, war die fortwährende Wiederholung von Isidoras Namen.
»Isidora hat mir dazu geraten. Isidora hat mich in die Zauberei eingewiesen. Immer wieder hat sie auf mich eingeredet und bekräftigt, dass mir die Liebe zu Théodore nicht verboten wäre... nur müsste ich darum kämpfen. Mit allen Mitteln. Ohne Angst, den guten Sitten zuwider zu handeln.«
Sophia hatte die Einäugige längst aus ihrem Gedächtnis gemerzt. Nun erhob sie sich schwarzgewandet und krähengleich, um ihr die letzten anklagenden Worte erneut hinzuspucken:
Mein Fluch soll Euch begleiten... die Saat wird aufgehen, die ich gepflanzt habe... und wird üble Ernte bringen.
»Langsam!«, rief Sophia und machte sich von den klebrigen Händen der Tochter los. »Erklär mir ruhig und langsam, was dir geschehen ist und was du getan hast!«
»Isidora«, wiederholte Cathérine stockend, »Isidora hat mich nicht nur darin unterwiesen, wie man den Haushalt führt, wie man wohlschmeckende Mahlzeiten kocht und wie man webt und spinnt... sondern sie hat mich gelehrt, wie sich mit Zauberei das Leben zurechtbiegen lässt. Nie hab ich’s ausprobieren wollen, ihr stets gesagt, es sei gotteslästerlich, aber als Théodore nicht mehr hier war...«
Dummes Weib!, durchfuhr es Sophia – und es war nicht gewiss, ob sie die tote Sarazenin meinte oder ihre Tochter.
»Ha! Auch Bertrand hat sein ganzes Leben zu zaubern versucht und nichts für seine Mélisande tun können!«, rief sie bitter.
»Aber ich«, schluchzte Cathérine auf, »ich habe mein Ziel erreicht!«
Leise wiederholte sie all ihre vorigen schrillen Sätze. Diesmal drangen sie in Sophias Gemüt und verbanden sich mit der Erinnerung an Jehanne, die Kindsmörderin und Henkersgattin, die Nägel, Haare und Blut eines Hingerichteten gebracht hatte.
Vor drei Jahren hatte sie ihr schauriges Werk begonnen, erzählte Cathérine. Als Théodore aus der Fremde nicht wiederkehrte und sie alleine an der Seite der Mutter blieb, erinnerte sie sich an Isidoras Worte vom Liebeszauber. Jeden Mann könne sich ein Mädchen
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