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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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meine Seele leihen und daraus jegliche Kraft ziehen – für die Dauer jener Zeitspanne, da er Théodore vergessen macht, dass er mein Bruder ist. Und siehe, Mutter, seit dieser Stunde hatte ich des Nachts dunkle Träume. Die Dämonen kamen, um mich zu holen, auf dass ich dem Satan gefügig wäre, und manchmal wurde ich morgens wach und war noch schweißnass ob der höllischen Hitze und wund zwischen den Beinen, wo er mich mit seinem Dreizack gepiekst hatte. Aber ich dachte stets, es sei nur für kurze Zeit, bis Théodore nur endlich zurückkehrte – hernach aber könne ich zur Beichte gehen und mich reinwaschen von aller Schuld. Ich würde Buße tun, indem ich faste und bete und die Messe besuche, und es würde kein Mal bleiben, das mir das Siegel der Verfluchten aufpresst.«
    Stechend schmerzte es dort, wo sich Cathérines Fingernägel in ihr Fleisch bohrten. Sophia entriss ihr ihre Hände – voller Zorn über so viel Dummheit, über so viel dunklen Glauben und Wahn.
    »Hör zu!«, tobte sie machtlos dagegen an. »Dass Théodore und du nicht Bruder und Schwester seid, gilt nicht erst seit deinem dummen Pakt. Nicht der Teufel hat’s bewirkt, sondern meine Sünde.«
    Sie erreichte das Mädchen nicht. Schon sank Cathérine wieder schluchzend in sich zusammen und besprühte Sophias Hände mit ihren heißen Tränen.
    »Aber verstehst du denn nicht, Mutter?«, rief sie. »Ich habe dem Satan meine Seele anvertraut für jene Dauer, da solches gelte. Ist’s nun aber für immer so – bin ich sein auf ewig!«
    Der Wein roch mehlig-süß, als sei er nicht aus Trauben gebraut, sondern aus längst verdorbenem Obst, das Brot, das auf dem Tisch stand, war schimmlig grau – und das Fleisch schließlich kohlschwarz gebraten.
    Der dunstig-guten Laune tat es keinen Abbruch. Eine Wirtin mit fettigen Haaren, bodenlangem Sackkleid und Brüsten, die wie Kuheuter bis zur Taille fielen, keifte zwar übermüdet in einem fort – die Studenten aber lachten und grölten munter.
    Dicht stand der Dunst, weil die einzige Feuerstelle keinen Rauchfang hatte, der die schlechte Luft ins Freie lenkte. In den Ecken lag verrottetes Stroh, auf dem die einen ihre Notdurft verrichteten, die anderen Huren küssten und wieder andere schliefen. Letztere klagten dann in ellenlangen Briefen an den Vater, wie übel und erbärmlich das Studentenleben sei und dass sie mehr Geld brauchten, um es sich annehmlicher zu gestalten. Doch meist kam als Antwort, dass erst das abgeschlossene Baccalaureat solches erlaube und für einen Studenten das Leben doch billig wäre, vorausgesetzt, er verzichte auf den Wein. Gab’s nicht das Vorrecht, wonach ihr Mietzins festgeschrieben wäre und nicht in wuchernde Höhen getrieben werden dürfte?
    Sophia kämpfte sich hustend durch die weinselige Menge.
    »Ei, ein Weib!«, kreischte einer. »Mach die Haube ab, auf dass ich sehen kann, ob dein Haar noch frisch ist!«
    Sophia schnaubte unwillig und gab sich nicht die Mühe, höflich zu sein. »Ich kann’s dir versprechen, mein Haar ist so grau wie das deiner Mutter!... Sag du mir lieber, wo ich Christian Tarquam finde! Ich habe gehört, dass er hier ein Zimmer gemietet hat.«
    Der Bursche verlor sein Interesse und tauchte sein Gesicht tief in ein Weinglas – vielleicht floss hier auch nur billiges Dünnbier, das mit Wacholder oder den Hobelspänen von trockenem Tannenholz gewürzt worden war – ein anderer jedoch, der älter schien als der »Grünschnabel«, wie die Studienanfänger hießen, neigte sich Sophia zu.
    »‘s ist ein Kommen und Gehen mit Christian, aber zurzeit scheint er da zu sein. Steigt einen Stock höher – und hofft, dass die schiefe Treppe nicht unter Euch einstürzt.«
    Sein samtiges Wams verriet, dass er entweder mehr Geld geschickt bekam oder sich bereits ein Zubrot mit dem Lehren verdiente. Freilich fiel auch das niedrig aus, denn die meisten Studenten – und diese bezahlten ihre Lehrer selbst – sparten lieber bei diesen als beim Wein.
    Sophia dankte mit einem raschen Kopfnicken und folgte dem Weg, den er ihr gewiesen hatte. Kalter Schweiß tropfte von ihrer Stirne. Der Geruch nach Erbrochenem, nach verdorbenem, billigem Essen und der Dunst vom Wein schienen sich in ihrem schwarzen Kleid festgesaugt zu haben.
    Die meisten Studenten leben wie Bettler, ging es ihr durch den Kopf; wie gut es seinerzeit Théodore hatte! Und wie dumm von ihm, all das wegzuwerfen, als wäre...
    Sie schluckte das Hadern wie den üblen Geschmack und hielt sich an der

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