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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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sie erzürnt. »Ihr gebt Euch gern als Spötter, als Hurenfreund, als Säufer! Ihr haltet Euch Ratten und Hunde, die von anderen längst erschlagen worden wären! Aber trotz allem weiß ich, dass Ihr zur Liebe fähig seid. Nicht immer spricht der Spott aus Euren Augen. Vor Jahren habe ich es entdeckt, dass manchmal Eure Augen weich und sanft und liebevoll werden – dann nämlich, wenn sie sich auf meine Tochter Cathérine richten. Du liebst sie! Nur weil sie dich darum bat, bist du seinerzeit mit Théodore geflohen, so ist es doch!«
    Er versuchte kein einziges Mal, sie zu unterbrechen, auch dann nicht, als sie zum vertraulichen »Du« gewechselt war. Ruhig hörte er der schnaubenden Rede zu, und auch als sie geendigt hatte, fiel kein Widerwort.
    »Ihr habt Recht«, gestand er ihr ohne Zögern zu. »Ich liebe mehr, als Ihr selbst es Euch je erlaubt habt, werte Sophia. Ich liebe schon seit langer Zeit.«
    Er setzte eine Pause, um mit den abschließenden Worten eine noch größere Überraschung zu säen.
    »Aber ich liebe nicht Cathérine«, bekannte er schlicht. »Ich habe sie nie geliebt. Sondern immer nur Théodore.«
    Sophia lachte freudlos und lange. Ob des ungewohnten Lauts spitzte selbst Christians Köter seine zerfledderten Ohren und hörte zu knurren auf.
    Christian selbst blieb kühl. Er, der sich für gewöhnlich ausschütten mochte in seinem Gekicher, brachte nun nicht einmal ein flaues Lächeln zustande.
    »Hat heute die ganze Welt den Verstand verloren?«, zischte Sophia schließlich grimmig. »Cathérine lädt den Satan zu sich ins Bett – und du... du liebst Théodore? Die Liebe zwischen den Männern ist eine der schlimmsten Sünden. Solche wie du werden mit Haut und Haaren verbrannt, und ihre Asche wird in alle vier Himmelsrichtungen zerstreut.«
    Christian zuckte die Schultern und stieß einen zischenden Pfiff aus, der dem Köter galt. Schwerfällig und sich zuvor mehrmals um die eigene Achse drehend ließ sich das grässliche Vieh vor seinen Füßen nieder. Auf seinem nackten Bauch wucherten schwarze Warzen.
    »An keinem anderen Menschen wie an Euch zeigt sich so deutlich, dass Klugheit nicht dasselbe wie Weisheit ist«, murmelte er, und es klang bedauernd, ja traurig. »Denn Ihr seid klug, Sophia, aber nicht weise. Von Büchern versteht Ihr viel, aber von Menschen nichts. Es hat mich nie nach Théodores Körper gelüstet. Die Frauen mögen mich, und ich mag sie, wenn sie mit weichen, weißen Schenkeln und Brüsten unter mir liegen und mich die Welt vergessen lassen. Meine Seele jedoch verlangt nach Théodore. Und deswegen werde ich ihn auch weiterhin begleiten und mit ihm nach Italien ziehen.«
    Der Spott blieb Sophia in der Kehle stecken. Stumm wurde es zwischen ihnen, als sie kein neuerliches Gelächter ausstieß, sondern sich erinnerte: an jenen Tag, da Christian Cathérine begafft hatte, oder sie geglaubt hatte, er würde es tun. In Wahrheit hatte der zärtliche, weiche Blick Théodore gegolten, der neben ihr schritt. Und als sie später darüber gestritten hatten, weil Christian »ihr« die Wahrheit sagen wollte, Théodore es ihm aber verbat, so war es nicht um ein Liebesgeständnis an Cathérine gegangen, sondern um das Unheil, das sich an der Universität zusammenbraute und von dem Christian Sophia in Kenntnis setzen wollte.
    »Aber...«, begann sie.
    Christian trat auf sie zu, griff dabei nach seinem funkelnden Amulett, das er wie immer um den Hals trug, und öffnete es, damit sie seinen Inhalt sehen konnte.
    Futter für seine Ratte würde er darin tragen, hatte er einst gespottet und Gleiches bekräftigt, als Sophia nach ihrer Umarmung versehentlich einen Blick auf den weißen Inhalt geworfen hatte. Nun stellte sich heraus, dass es weder Brotkrumen noch Körner waren, die er stets bei sich trug, sondern sorgfältig gereinigte... Menschenzähne.
    »Ja«, bekräftigte er. »Ihr versteht die Menschen nicht, Sophia. Und darum will ich sie Euch gerne erklären – will mich erklären. Ihr seht richtig: Das hier sind Zähne, und man hat sie meinem Vater einzeln aus dem Mund gerissen.«
    Kaum sah sie inmitten der dunklen, schmierigen Wände sein Gesicht. Die weiche Stimme glich einem Fremden.
    »Ich war noch nicht fünfzehn«, erzählte er, »da wütete nicht nur der Krieg zwischen England und Frankreich, sondern obendrein eine schreckliche Hungersnot. Mein Vater war der Besitzer einer prächtigen Burg und zugleich Lehnsherr von drei Bauerndörfern ringsherum – ein gütiger Mann, der kaum das

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