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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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bröckelnden Wand fest, als sie nach oben stieg. Das Grölen und das Klopfen des Würfelspiels wurden leiser, je mehr der unebenmäßigen Stufen sie nahm. Im niedrigen Gang, worin sie ankam und wo die Decke kaum höher war als eine ausgewachsene Frau, war es beinahe still. Das Einzige, was zu vernehmen war, war ein merkwürdiges, tiefes Grollen, als würde sich hinter einer der Stuben ein Gewitter zusammenbrauen.
    »Christian Tarquam!«, rief sie mit fester Stimme. »Christian, wo steckt Ihr?«
    Das Grollen verstärkte sich, ein Schatten löste sich von der dunklen Wand und trat auf sie zu. Es war nicht der Gesuchte, sondern ein gnomiger Hund, mit flachgedrücktem Gesicht, als sei er zu oft auf die Schnauze gefallen, schwerem Gang, als drückten ihn Kreuzschmerzen, und rinnendem Speichel, der
    Furchen in das ergraute Fell der Lefzen gezogen hatte. Gleichwohl es schien, als würde er sogleich unter der Last seines Alters zusammenbrechen, grollte er weiter und setzte schließlich schnaufend zu bellen an. Sophia wich zurück. Selbst die gepflegten Jagdhunde des Königspalastes hatten sie stets mit Misstrauen erfüllt – umso mehr tat es dieser seibernde Köter, der mit wuchtigen Schritten auf sie zutapste und – weiterhin knurrend und grollend – die Nase hob.
    »Weg da, Mistvieh!«, zischte sie.
    Zum düsteren Kläffen gesellte sich ein schelmisches Lachen.
    »Kann es denn sein«, fragte Christian Tarquam, »dass Ihr auch dieses meiner Tiere verachtet?«
    Sophia reckte den Kopf und wollte nicht zugeben, dass der Köter ihr trotz seiner Schwerfälligkeit Angst machte wie jegliches Getier. Nie hatte sie etwas damit anfangen können, wiewohl sie sich stets das Gekreisch verbissen hatte, in das Cathérine nur allzu gerne ausbrach.
    »Ich dachte, Ihr seid ein Freund der Ratten... nicht der Hunde«, sagte sie kühl.
    »Genauso ist’s. Und dieser Hund nun fletscht zwar gern sein feuchtes Maul, aber vermag es nicht einmal, Ratten totzubeißen. Unbrauchbar war er deshalb für die Wildschweinjagd. Schon waren die Jäger darum bereit, ihn zu Tode zu prügeln. Ich nahm ihn auf, und seitdem lebt er bei mir, um unliebsame Gäste zu vertreiben.«
    Ihr Interesse an der Geschichte verflog rasch.
    »Soll er auch mich vertreiben?«, fragte sie schnell, kaum dass er den letzten Satz gesprochen hatte.
    Mit wenig Eile trat Christian nun näher an sie heran. »Das entscheidet sich daran, was Ihr wollt«, begann er gleichmütig. »Ich ahne es bereits. Ich soll dem armen Théodore schmackhaft machen, in Paris zu bleiben, anstatt zu einem minderen Bruder zu werden.«
    Sophia war es recht, dass sie sich ihm nicht lange erklären musste. Viele Stunden hatte ihre Suche nach Christian gewährt, von dem es hieß, dass er sich seit einigen Wochen in dasselbe schäbige, billige Wirtshaus eingemietet hatte, in dem er auch die ersten Jahre seiner Studentenschaft gewohnt hatte. So schleißig, verlaust und dreckig wäre es dort, dass immer eine Stube freistünde, wiewohl es ansonsten in Paris so schwierig war, für wenig Geld ein Dach über den Kopf zu bekommen.
    »Genauso ist es«, bekräftigte sie und hielt sich nicht mit Geplänkel auf. »Und ich will noch mehr als das. Manch eine Frau hat nichts im Kopf und schafft es dennoch, genügend Gedanken zu brauen, um daran irre zu werden. Ich habe gehört, dass ein tüchtiges Mannsbild zwischen den Schenkeln Abhilfe zu schaffen vermag. Meine Tochter Cathérine ist eine solche. Ich wollte es Euch schon vor Jahren sagen, dass Ihr sie zur Frau nehmen könnt. Und im Gegenzug – dies ist, was ich verlange – sollt Ihr nicht nur ihr, sondern auch Théodore Vernunft beibringen.«
    Ihre Stimme klang krächzend vom Rauch und vom schnellen Gehen. Sie hatte kaum stillgestanden, nachdem sie sich aus Cathérines klebrigen Griffen befreit, das Mädchen unwirsch von sich geschleudert und es einfach liegen lassen hatte. Widersinnig war es ihr erschienen, dem Wahn zu widersprechen, der sich auf das schlichte Gemüt gesenkt hatte und es unbrauchbar machte, um Théodore zum Bleiben zu bewegen. Von der Überlegung, wer für diesen Zweck besser taugte – ihre Entscheidung war zuletzt auf Christian gefallen –, war jede Sorge um das Mädchen aus ihren Gedanken verdrängt.
    »Und warum denkt Ihr, dass ich das tun werde?«, fragte jener eben.
    Dass er sich dumm stellte, vertrieb den letzten Funken Furcht vor dem seibernden Köter. Unwirsch trat Sophia einen Schritt auf ihn zu.
    »Oh, Christian, macht mir nichts vor!«, rief

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