Die Chronistin
bereits, ich müsste meine Sünden selbst vor dem Allmächtigen verantworten. Doch gottlob hat mich die Dauphine gefunden und mich getröstet. Und sie hat mir gesagt, dass es nicht mein Vergehen wäre, dass ich meine Seele dem Teufel anvertraut habe, sondern allein Euer böser Einfluss mich dazu bewogen hat.«
Sie tat noch mehr als nur zu kreischen – sie hob die Faust und ließ sie auf Sophias Schulter niederprallen. Jene spürte kaum den Schlag, so sehr war sie beschäftigt zu überlegen, was all das zu bedeuten habe.
Oh, dumme Cathérine!, ging ihr durch den Kopf. Oh, Geschwätzige! Wie konnte sie ihre Angst und Seelenpein gerade der Dauphine anvertrauen? Und wie viel hatte sie ihr verraten – womöglich auch die Schande ihrer Geburt?
Sophia konnte nicht lange darüber nachsinnen. Schon traf ein zweiter Faustschlag ihre Brust, schmerzhafter als der erste.
»Ihr seid eine verwunschene Zauberin!«, krächzte Rosalinde wie von Sinnen. »Und uns wolltet Ihr die übelsten Rezepte aufschwatzen, auf dass auch wir dem Teufel anheim fielen. Grässliche Irrlehren und falschen Glauben habt Ihr an diesen Hof gebracht und beinahe die gute Dauphine vergiftet.«
»Und Geschäfte mit dem Henker habt Ihr gemacht! Habt Fingernägel und Haare und Blut von Toten gekauft und in Cathérines Zimmer versteckt, auf dass sie ihr zum Fluch gerieten!«
»Und das Kruzifix hab Ihr verkehrt herum gehängt!«
»Die Ehe habt Ihr ebenso gebrochen! Gewiss habt Ihr’s mit dem Teufel getrieben – und jener hat auch den guten Bertrand de Guscelin gemeuchelt!«
Sophia fühlte, wie sich das Gebende, das sämtliche Haare verbarg, löste und die grau durchsetzten Flechten ihr über die Schultern rutschten. Kalter Schweiß stieg ihr ins Gesicht, als sie der letzten – und einzig wahren – Anklage lauschte. Immer näher traten die Weiber, und ihre Gesichter verschwammen zu einem, indessen sie heißer Speichel traf und ihr die Kehle trotz der kalten Morgenluft eng wurde. Sie wusste nicht, ob es die Übermüdung war oder die Panik, die sie ob der wütenden Weiber überkam – doch plötzlich fühlte sie ihre Beine nachgeben. Sie klammerte sich an die kalte Mauer und suchte Hilfe bei der Einzigen, die sie noch nicht angeklagt hatte.
Blanche hatte bis jetzt schweigend gestanden, mit ruhigem Blick und auf jeden Faustschlag verzichtend.
»Ihr könnt doch diesen Wahnsinn nicht gestatten!«, rief Sophia keuchend. »Mein Stiefsohn hat Euch doch beigebracht, dass jeder Einzelne vernunftbegabt ist und Würde hat.«
Blanche griff nicht ein. Sie glotzte so träge wie in der Ferne die Wachen, die sich nicht um das Weibergetue scherten.
»In meiner Heimat«, sagte sie schließlich, indessen sie ob der dünnen Oktobersonne fröstelte, »in meiner Heimat stürzt man Zauberinnen von der Stadtmauer.«
Die drei Frauen hielten inne. Wiewohl von den wüsten Geschichten aufgehetzt, die Cathérine erzählt hatte, um die eigenen Sünden zu vertuschen, und die man ihr glaubte, weil ihnen das blonde, rotwangige Mädchen näher stand als das unheimliche, sonderliche Weib, wagten sie nicht, dem leisen Befehl zu folgen, der in Blanches Worten lag.
Schon seufzte Sophia erleichtert und wollte sich an ihnen vorbeidrängen, als eine weitere aufgebrachte Frau auf sie zustürzte, die alles belauscht hatte und deren Wut schon viel länger währte als nur die wenigen Stunden, da Cathérine ihre schauerliche Mär verkündet und die sensationslüsternen Damen aufgehetzt hatte.
Die schmaläugige Gret von Dänemark, die nie hatte verwinden können, dass Sophia ihre Prinzessin verraten hatte, dass sie es ihr später in Étampes so erschwert hatte, bei der Angebeteten zu sein, und dass sie sich nun aufs Schändlichste, weil eigennützig in deren Gegenwart stahl, kam auf sie zugehastet, packte Sophia grob bei den Schultern und drängte sie erbarmungslos in einen kleinen Spalt in der Mauer. Eigentlich diente jener dem Zwecke, Ausschau zu halten – doch war er breit genug, dass Sophias knöchrige Gestalt hindurchrutschte, ihr Kopf zurückkippte und sie von oben auf die brausende Seine starrte, die näher und näher kam, als würde sie steigen wie in Zeiten der Flut.
Sophia strampelte mit den Beinen, aber sie fühlte keinen festen Boden mehr darunter.
»Und zu all ihren Vergehen, die Ihr aufzählt«, kreischte sie mit ihrem harten Französisch, »gehört auch jenes, dass sie die arme Königin Isambour schändlicher Untaten angeklagt hat. Als Hexe hat sie sie bezeichnet – und ist
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