Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
Vom Netzwerk:
doch selbst eine!«
    Sophia schnappte nach Luft – eine Reaktion ihres Leibes, nicht ihres Geistes. Wiewohl Letzterer die Bedrohung erfasste, in der sie sich befand, gelang es ihm nicht, in ihr Angst vor dem Tod zu zeugen. Beinahe kopfüber hing sie, rechnete damit, dass Gret sie stoßen würde oder eine der anderen Frauen nachhelfen, und konnte doch an nichts denken, als dass es gnädig wäre, in diesen braunen Fluten versinken zu dürfen, in ihnen zu ertauben und zu erblinden. Nichts mehr sehen und hören müsste sie von all den schrecklichen Anklagen und Lügen. Nicht mehr streiten um ein Leben, das dem Schreiben und Lesen gewidmet war. Nicht in jenem dumpfen Reich von Argwohn, Misstrauen, Aberglauben um ihren Verstand kämpfen und daran festhalten!
    Sie könnte verschwinden, würde nichts von sich zurücklassen, nur geschriebene Worte, und auch jene würden mit der Zeit vergilben.
    Jäh war es nicht mehr nur Grets Griff, der sie dem Abgrund preisgab. Sie selbst legte alle Schwere und Kraft in den Rumpf, auf dass jener den restlichen Leib zu Fall brächte, nach unten zerrte und ihn auf der Wasseroberfläche zerbrechen ließe – so wie dereinst Mélisande aus der Höhe in den Tod gestürzt war.
    Nun jedoch, da sie vermeinte, endgültig von der Burgmauer zu fallen, packte eine feste Männerhand ihre Hüfte und ihr Bein und zog sie zurück auf sicheren Grund.
    »Seid Ihr allesamt verrückt geworden?«, tönte zornig eine vertraute Stimme.
    Sophia hockte zusammengesunken.
    Wiewohl der Morgennebel sich lichtete, drangen alle Worte so gedämpft zu ihr, als hielte jener sie auf ewig verschluckt.
    Sie hörte, dass Théodore wütend war – und ebenso, dass sich diese Wut vor allem gegen Cathérine richtete. Doch mit welchen Worten er sie zur Rede stellte, erfuhr sie nie.
    Die offenen Haare hingen ihr ins Gesicht, der ganze Leib begann zu zittern, und erst als Cathérine schluchzend zusammenbrach, vermochte sie den Kopf zu heben.
    »Lass sie in Frieden, Théodore!«, murmelte sie mit weißen Lippen. Sie fühlte keinen Zorn auf die aufgebrachten Weiber, die entweder trotzig wie Gret oder beschämt wie Rosalinde und Alix um sie standen, sondern nur diese dumpfe Sehnsucht nach ewigem Verstummen.
    Théodore trat zu ihr, nahm sie an der Hand und zog sie hoch.
    »Das hätte sie nicht tun dürfen«, sprach er ungnädig in Cathérines Geheule hinein, das ihren Wahn und ihren Hass nur allzu schnell zersprengt hatte.
    »Sie war verzweifelt... und sie gab mir die Schuld daran...«, stotterte Sophia und fühlte, wie er ob ihrer Milde ungläubig dreinblickte. »Ver... vergiss es einfach«, fuhr sie immer noch zitternd fort.
    Selbst die eigene Stimme war ihr nurmehr ein schemenhafter Laut. Sie fror so sehr, als hätte sie tatsächlich in den kalten Fluten gelegen, und machte sich von Théodore los, auf dass sie in der Nähe eines Kamins Wärme schöpfen konnte.
    »Wartet!«, rief Théodore aus. »Ich kam gerade noch rechtzeitig vorbei – jedoch nicht aus Zufall. Ich suchte Euch, denn auch wenn ich ihrer nicht bedarf, so hoffe ich immer noch auf Eure Zustimmung. Ihr habt mich wortlos stehen lassen, als ich Euch bat, Ihr möget sie mir für meine Pläne gewähren.«
    Sophias Zähne klapperten. Sie ahnte, dass sie all ihr Hadern ob Théodores Entscheidung wieder heraufbeschwören könnte, wenn sie nur lange genug in ihrem Gemüt danach kramte. Doch nun, nachdem sie dem Tod gefasst ins Gesicht geschaut hatte, deuchte es sie zu mühselig, sich Théodores angespanntem, forschem Schauen zu widersetzen.
    »Tu, was du für richtig hältst. Entscheide selbst, was du aus deinem Leben machst«, gab sie ihm nach, und das freudige Aufblitzen in seinen Augen vertrieb für kurze Momente das Zittern ihres Körpers.
    Jetzt erst, da sich sein hartnäckiger Griff löste, bemerkte sie, dass er sie fortwährend am Arm gepackt gehalten hatte. Er ließ sie los, um nun auf die gefällte Cathérine zuzulaufen und auch sie wieder aufzurichten. Noch mehr als zur Wärme drängte es Sophia, die beiden allein zu lassen und die Rechtfertigungen der Tochter nicht hören zu müssen – doch als sich ihr Sehen schärfte, erkannte sie, dass sich ob des ungewohnten Aufruhrs der ganze Hof gefüllt hatte. Längst standen nicht nur einige wenige Wachen und die kleinlauten Weiber um sie herum – schon kam manch einer gelaufen, der ein wichtiges Hofamt innehatte und vermeinte, als Erster den Grund für dieses Getümmel erfahren zu müssen.
    Wendig duckte sich Gret und eilte

Weitere Kostenlose Bücher