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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Blut von der Wand rannen, und vergrub den Kopf zwischen ihren Armen. Anstatt das Wichtige vom Unwichtigen zu scheiden, begann sie lautlos zu weinen.
    Der Morgennebel hing dicht über der Burg des Königs, als Sophia dorthin aufbrach; das Sonnenlicht, das sich zäh seinen Weg bahnte, strahlte nicht gelb, sondern milchig weiß hindurch.
    Nach der schlaflosen Nacht hatte sie sich aufgewärmt, indem sie hastig ging, doch nun, da sie ihr Ziel erreicht hatte, gönnte sie sich einen Moment der Rast. Früh genug musste sie der überdrehten Tochter entgegentreten und ihr begreiflich machen, dass ihre Taten nur kindlicher, nicht aber gefährlicher Aberglaube waren.
    Sie blieb nahe einer raureifbedeckten Mauer stehen, welche den Platz zwischen Palast, Kapelle und einem niedrigen Steinbau, in dem alle wichtigen Urkunden und Briefe aufbewahrt waren, säumte. Von den Wirtschaftsräumen strömte verlockend der Duft von frischem Panis albus – dem teuren, bei Hofe gern verspeisten Weißbrot.
    Sophia nahm ihn kaum wahr, sondern beugte sich über die Mauer.
    Unter ihr gurgelte die bräunliche Seine. Gefährlich nah flogen Tauben, die so weiß waren wie das Licht, an die Fluten heran, ohne freilich von der Wucht des Wassers getroffen zu werden.
    Die Wärme floh aus ihren Gliedern, und der Hauch ihres Atems glich alsbald kleinen Nebelwölkchen, indessen sie steif stand, die Traurigkeit der Nacht abzuschütteln versuchte – und schließlich gewahrte, wie dort vorne die Dauphine Blanche mit ihren Damen die Kapelle verließ. Alix war dabei, Rosalinde – und zu ihrem Erstaunen auch Cathérine. Gewiss hatten sie für den Seelenfrieden des kleinen Philippe gebetet, und erleichtert stellte Sophia fest, dass Cathérines Erregtheit sich gelegt zu haben schien und dass das ungesunde Rot auf ihren Wangen verblasst war.
    Fröstelnd rieb sich das Mädchen eben die Hände – so wie just im gleichen Moment die Mutter es tat –, als sie jene erblickte und erstarrte.
    Die anderen Damen folgten ihrem Blick und blieben desgleichen stehen, als hätte der morgendliche Frost sie zu Stein erfrieren lassen. Noch glaubte Sophia in ihren Gesichtern nur die stumme Trauer um das tote Kind zu sehen – eine Last, die auch die Schultern niederdrückte –, als Cathérine plötzlich einen schrillen Laut ausstieß, der einem hitzigen Windstoß gleich die anderen erwärmte und sie mit hastigen wie unerbittlichen Schritten auf Sophia zutreten ließ.
    Ratlos blickte sie zunächst von der einen zu der anderen, suchte – wenn auch nicht in Blanches oder Cathérines Gesicht, so doch in jenen von Alix und Rosalinde – nach einem Zeichen der oberflächlichen, gesprächigen Freundlichkeit.
    Doch ein dumpfer, unheimlicher Hass hatte Masken über die Gesichter gelegt und ließ aus ihren Mündern schreckliche Vorwürfe laut werden.
    »Da wagt dieses böse Weib zu stehen!«, gellte Cathérine als Erste, und die anderen nickten bekräftigend. »Sie hat mich dazu gebracht, einen Pakt mit dem Teufel zu schließen, damit ich ihm meine Seele verkaufe. Sie hat ihm die ihre längst gegeben – und damit Unheil gebracht, Unheil, Unheil! Es sollte mich nicht wundern, wenn der kleine Philippe ihretwegen sterben musste!«
    Kleine Speicheltropfen hatten sich an den Rändern ihrer Lippen gebildet. Indessen Sophia noch fassungslos darauf starrte, ertönte auch von anderer Seite üble Schimpfrede.
    »Meinem liebsten Gatten hat sie die Manneskraft geraubt!«, keifte Rosalinde. »Und obendrein wollte sie ihn mit dem Saft der Narzisse vergiften!«
    »Sie ist des Teufels!«, bekräftigte die sonst so vornehme Alix. »Wahrscheinlich hat sie dem kleinen Philippe seinerzeit nur auf die Welt geholfen, damit sie dem Widersacher sein Blut schenken konnte!«
    Zuerst setzten sie ihr nur mit Gekeife zu, dann bildeten die Frauen einen Kreis, der sich immer enger um sie schloss. Eben noch hatte Sophia ihnen spöttisch entgegenlachen wollen ob all des Unsinns, der da aus ihren Mäulern kam – nun trat sie unwillkürlich zurück und presste sich an die kalte Mauer.
    »Seid Ihr von Sinnen?«, entfuhr es ihr.
    Dass man ihr Verachtung entgegenbrachte, kannte sie – jene Frauen aber waren von einem dunklen, üblen Wahn gepackt. Ihre Augen kreisten wild, anstatt Sophias Blick standzuhalten.
    »Cathérine!«, versuchte sie zumindest die Tochter zu erreichen. »Was soll das? Hast du den Verstand verloren?«
    »Du dachtest, du könntest ungeschoren davonkommen!«, kreischte das Mädchen. »Und ich glaubte

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