Die Chronistin
ihre Chronik abgeschlossen hatte.«
Das Tuscheln der Jüngeren verstärkte sich. Geheimnisumwitterter als Sophias Tod deuchte sie das Werk, woran sie geschrieben hatte. Solange sie gelebt hatte, hatte sie nie darüber gesprochen. Und nachdem sie verschwunden war, war auch ihr großes Werk unauffindbar.
Hastig schluckte Roesia ihre Unbeherrschtheit. Wollte sie die Verwirrung schlichten, so durfte sie ihr Handeln nicht von Cathérines Dreistigkeit bestimmen lassen, sondern all ihr Trachten danach ausrichten, Gerüchte und Vermutungen auszurotten.
»Es sollte mich wundern«, sprach sie mit leiser Verachtung in Cathérines Richtung, »wenn du jemals verstanden hättest, was deine Mutter wollte, was es war, das sie antrieb, ja, was sie in ihren letzten Lebenstagen aufzuschreiben hatte. Und allen anderen sei gesagt: Was immer aber auch...«
Mit schnellem Reden wollte sie die andere zum Schweigen bringen – und erreichte doch Gegenteiliges. Denn nun, da sie den Blick von Cathérine weglenkte, fühlte sich jene bemüßigt, die Aufmerksamkeit zurück zu ertrotzen.
»In den letzten Jahren gab’s zwischen uns die Übereinkunft, der anderen nicht das Leben zu versauern«, dröhnte sie laut und herrisch und diesmal auch ohne den weinerlichen Unterton, der ansonsten jedes zänkische Reden begleitete. »Ihr Vertrauen in mich reichte darum weiter als in früheren Tagen; vielleicht hat sie sich auch gewünscht, sie möge mir in anderem Lichte erscheinen. In jedem Falle hat sie mir aus der Chronik vorgelesen. Ja, ich weiß genau, was Sophia darin aufgeschrieben hat.«
Roesia erstarrte. Nicht nur, was die andere verhieß, erschreckte sie, sondern auch ihre Respektlosigkeit. Niemals hätte Cathérine das zugegeben, aber sie glich der sonderlichen Mutter darin, sich keinem fremden Willen zu beugen.
Dummes Weib!, schimpfte sie in Gedanken – zugleich jedoch zu matt, um die züchtigenden Worte auch laut zu bekunden.
Eine andere tat dies für sie.
Sœur Eloïse, Roesias treue Gehilfin, war über all den schrillen Worten so nüchtern und besonnen geblieben wie stets. Inmitten des aufgeregten Tuschelns, Roesias Erstarrung und Cathérines trotzig blitzender Augen sprach sie kühl:
»Wer sollte deinen Worten glauben, Sœur Clarisse? Wer denken, dass du dich tatsächlich mit deiner Mutter versöhnt hast und sie dich in ihre Chronik einweihte? Du sprachest vom Hass, den viele hier gegen sie hegten, und ebenso, dass du zu den Ersten derer gehörtest, die wider sie wetterten. Doch du hast verschwiegen, dass dich dieser Hass schon lange vor Sophias Verschwinden weiter trieb, als es einem guten Christenmenschen ansteht.«
Sœur Eloïse setzte eine kunstvolle Pause, um den anschließenden Satz noch unheilvoller zu verkünden. »Die Wut gegen deine Mutter«, erklärte sie mit lauter und klarer Stimme, »und der Wunsch, dich gegen ihre Pläne zu erheben, hat dich einst angespornt, einen Pakt mit dem Satan zu schließen.«
Kapitel IV.
Anno Domini 1193
Die dicke Bertha schlug sie mit Reisig.
Rot verfärbt war das Gesicht vor Anstrengung, die Stirne alsbald schwitzend und die offenen Beine schmerzend – aber sie vollzog die Strafe mit gleicher Gier, mit der sie sich am Schlachttag fettiges Fleisch in den Mund stopfte. Hurtig waren dann ihre Bewegungen, nicht gebremst vom schwerfälligen Körper und schnaufenden Atem.
»Dir zeig ich’s, Mädchen, wie du dich in meinem Haus benehmen musst!«, keuchte sie und schlug so fest zu, wie die schwindende Kraft im feisten Arm es erlaubte.
Sophia versuchte jeden Laut zu vermeiden. Blutig biss sie sich die Lippen, indessen zwei der Vettern sie festhielten, das Kleid am Rücken alsbald in Fetzen hing und das Reisig die weiße Haut aufriss. Niemals wieder würde sie gänzlich heilen, sondern vernarbt an den unseligen Tag gemahnen, da sie nicht nur peinigende Schmerzen zu ertragen hatte, sondern das eigene Leben schmähte wie nie zuvor.
Welch ein Fehler war es gewesen, zu Arnulf zu fliehen! Welch ein Fehler auch, ihm über die eigene Gabe zu berichten! Er war ja doch nichts weiter als ein Verräter und ein Feigling!
Unerträglicher noch als die Reisigschläge war die Erinnerung an sein ängstliches Gesicht. Zur üblichen Furcht vor Krankheit und Unwetter war tiefes Unbehagen getreten, das ihrem Talent galt, sich jeden geschriebenen Satz zu merken. Gewiss, es war die rechte Stunde nicht, damit zu prahlen. Viel bedachter hätte sie ihn ködern müssen – nicht von der wütenden Stimme der Vettern
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