Die Chronistin
feinsinnigeres, geistreicheres zu erwarten wäre als im Haus einer dumpfen Bertha oder eines wehleidigen Kaufmanns.
Ich werde ihre Chronistin sein; vielleicht kann ich an ihrer Seite und in Paris, welches als Hort vieler kluger Männer gilt, doch noch zur großen Gelehrten werden – entgegen der Rache, die Mechthild an mir übte, entgegen Arnulfs Feigheit, entgegen der dummen Verwandtschaft meiner toten Mutter.
So dachte sie, als sie im Fäden spinnenden Dämmerlicht Lübeck verließ und sich auf die zwei Tage währende Reise nach Roskilde begab, wo der dänische König residierte. Jenem wurde sie gar nicht erst vorgestellt, stattdessen von Thorwald – dem Kaufmann, dem Arnulf sie übergeben hatte – zum Schiff gebracht, das noch im Hafen ankerte, bald aber mit kostbarer Fracht die Fahrt nach Frankreich antreten sollte.
Die Frau, die sie in Empfang nahm, Gret hieß und Isambour von Dänemark als Zofe diente, sprach viel von sich, aber wenig von der Prinzessin.
»Ich weiß nicht, ob dies der rechte Augenblick ist, sie zu stören... sie ist sehr eigen«, war das einzige, was sie zögerlich bekundete.
Als Sophia fragte, was an Isambour so sonderlich sei, gab sie keine Antwort.
Im Übrigen unterschied sich auch Gret von allen Frauen, die Sophia jemals gesehen hatte. Anders als die übrigen Dänen, die mit Isambour nach Frankreich reisten, war sie nicht groß und blond, sondern klein, rund und mit schief gewachsenen Augen, deren Lider die Hälfte des Blicks zu überdecken schienen.
Von einer Insel im Norden Dänemarks sprach sie, die ihre eigentliche Heimat war und wo die Menschen einst nicht Harald Blatland gefolgt waren und sich zum Christengott bekehrt hatten, sondern weiterhin alte Lieder von Göttern, Feen und Elfen sangen. Jene Geschichten waren so hart und grausam wie das Leben: Schon als Kind waren Grets Hände rau und geschunden, weil sie fortwährend Tierhäute zu Leder gerbte, und die Seele glatt geschliffen vom tobenden Wind und vom farblosen Schnee, der aus dem Leben nichts weiter macht als ein Trachten nach Feuer und gedörrtem Fisch.
Dieses Leben wurde bunter, wenngleich nicht satter an Freude, als Gret zwanzig war. Vom fernen Dänemark setzten Männer auf die Insel über, löschten die heidnische Brut aus, die dort lebte, und ließen nur ein paar Weiber am Leben, um sich an ihnen zu vergnügen. Als Buße für solch schamloses Treiben und nutzloses Morden legte ein Bischof dem vornehmsten unter den Männern auf, eine der Wilden zur Christin zu erziehen. Dessen Wahl fiel auf ein Mädchen, das sich bislang stumm gezeigt hatte. Er gab ihr den Namen Margrethe, aber nannte sie Gret und musste erkennen, dass die so lang Verstockte sich in milderer Umgebung als ständig Plappernde erwies. Die Sprache, mit der sie sich vorerst der Welt verwehrt hatte, war hernach ein Mittel, sich für das üble Schicksal zu rächen. Sie verhielt sich, wie man erwartete, und kniete vor dem Kruzifix, wenn man es befahl, aber sie sprach und erzählte fort und fort. Stets hielt sie die Dienstboten von der Arbeit ab, weil sie ihnen mit dem König Gorm in den Ohren lag, welcher der Stammvater aller Dänen war und Pfaffen erschlug, um nicht Christ zu werden, oder mit dem größten aller Helden, welcher Starkadr hieß und neun Berserker eigenhändig getötet hatte, oder mit dem König Geirröd, welcher bei einem Besuch von Odin jenem die Gastfreundschaft verwehrte und deswegen in Stücke gerissen wurde.
Unter solchem Wortschwall versuchte sie nun auch Sophia zu begraben, als jene drängte, die Prinzessin zu sehen.
»Du kannst ihr nicht gegenübertreten wie jeder anderen«, wehrte sie rätselhaft ab. »Du musst erst Vorsicht lernen, mit ihr umzugehen.«
»Ich werde ihr dienen, wie es einer Prinzessin zusteht«, erklärte Sophia überzeugt, »denn dazu hat man mich berufen. Ich weiß, dass eine Dame von königlichem Blut Respekt verdient.«
Nachdenklich zuckte Gret mit den Schultern. »Das wird nicht genügen. Denn das Besondere an ihr ist nicht, dass sie von königlichem Geblüt ist, jedoch...«
Sie brach ab, und ihre Augen blickten schelmisch. Noch weniger als das, was sie anzudeuten hatte, verstand Sophia, warum man eine Barbarin aus dem Norden zu Isambours engster Vertrauter gemacht hatte.
Zwar hatte Gret im Haus des erzwungenen Gönners ein brauchbares Latein und ebenso brauchbares Benehmen erlernt – aber wie konnte es sein, dass gerade sie die Prinzessin ankleiden, ihr das Haar kämmen, die Speisen reichen durfte?
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