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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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gebärdete.
    »Ja, bei solchem Vater«, tratschte eines der dänischen Weiber ungerührt, »mag man sich kaum wundern, was aus Isambour wurde. Waldemar hieß er, und sein russisches Weib Sophie, und wiewohl sie tüchtig war und gehorsam und neun Kinder gebar, hat er ihr das Leben zur Hölle gemacht. Ich meine, dass Isambour mit ihren absonderlichen Anfällen von Geburt an trachtet, eben dieser zu entfliehen.«
    »Einen Bruder«, nahm die andere auf, »hatte Sophie von Russland mitgebracht, welchen ihr Gatte kastrieren und blenden ließ und desgleichen Arm und Bein abschlagen. Jener hatte die Kälte von Dänemark ertragen, nicht aber die stumpfsinnige Einsamkeit, und so suchte er sich bei Waldemars schöner Schwester Christiane aufzuwärmen. Sophie warnte vor dem jähzornigen Gatten. Der Verliebte mochte nicht hören. Zuletzt erschlug Waldemar die unsittliche Schwester mit seiner Reitpeitsche und verfuhr mit Burusius auf genannte Weise, sodass jener den Rest seines Lebens in einem Kloster vegetierte und kein anderes Wort mehr über die Lippen brachte als den Namen der erschlagenen Geliebten. ›Christiane‹.«
    »Ja, man möchte meinen, dass Isambours Wahnsinn von ihm geliehen ist, wenngleich er andere Blüten schlägt.«
    Damit beschloss die eine endlich ihre Rede, und die andere folgte ihr ins Schweigen, ohne dass sie Sophia erklärt hatten, was sich vor ihren Augen ereignete.
    Prinzessin Isambour war ein Mädchen von sechzehn Jahren, und ihr Antlitz eigentlich gewöhnlich. Die Augen waren graublau, die Haare so blond, dass sie fast weiß glänzten, und die streng gebunden Zöpfe, die von keinem Schleier bedeckt waren, weil sie noch nicht dem Ehestande angehörte, am Ende so dünn, dass sie den Fäden eines Spinnennetzes glichen. Glatt und prall war die Haut, aber wirkte ob des taubengrauen, eng geschnittenen Oberkleids aus einem groben Leinenstoff blass.
    Aus diesem schlichten Gesicht nun kroch ein schrilles Schreien hervor, das es zur teuflischen Fratze verzerrte. So laut und heftig nahm es den dünnen Körper in Beschlag, dass er zurückgebogen ward, die Augen ins Weiße gedreht und der Mund glänzend von einem weißen Schaum. Ein gleichmäßiges, jedoch nicht minder schauerliches Zucken war das Einzige, was die schier unerträgliche Spannung ein wenig löste, in die der Leib verfallen war.
    »Gütiger Himmel!«, stieß Sophia aus. »Was ist diesem Wesen geschehen, dass es sich so gebärdet?«
    »Ich habe dir doch bereits gesagt, sie ist nicht von dieser Welt«, nahm Gret nach langem Schweigen wieder das Reden auf, »die einen erklären’s mit dem grausamen Wahnsinn des Vaters, die anderen mit einem Fluch des geblendeten und entmannten Burusius, der auf ihr läge, und wieder andere – wie ich – mit jener Geschichte von der Meermaid. In jedem Falle gilt: Isambour ist hübsch anzusehen, aber sie spricht kein einziges Wort und hat es nie getan; unmöglich, dass sie je schreiben könnte, ja, nicht einmal die Spindel vermag sie zu gebrauchen oder am Webstuhl zu sitzen. Meist hockt sie schweigend, und ihr Blick ist entrückt, als schwebe sie über der Welt entlang, aber beschritte nicht deren Boden. Und manches Mal – es geschieht nicht oft, nur alle Wochen wieder und meistens dann, wenn ihr ein Mann zu nahe tritt – da kommt es, dass sie zu schreien beginnt, unbeschreiblich und schrecklich und lange. Ich meine, dass dann die alten Götter aus ihr sprechen, welche die Priester der Christen haben vertreiben wollen.«
    Gret nickte ehrfürchtig – bezeugend, dass alle Bekehrung und Anpassung den alten Glauben nicht aus ihr vertrieben hatten und ebenso, dass Isambour sie keine teuflische Kreatur deuchte, sondern eine Gestalt aus dunklen Märchen, die noch mehr zu ehren war als der fleischgewordene Christengott.
    »Als Tochter einer Meermaid«, fuhr sie raunend fort, »erleidet sie dasselbe Schicksal wie dieselbige, die niemals auf dem Erdenboden hätte wandeln können, es sei denn mit entsetzlichen Schmerzen. Wenn sie das Irdische allzu sehr streift, so schreit sie sich die Seele aus dem Leib, auf dass jene in lichtere Gefilde flüchten kann.«
    Von Grets Ergebenheit und Ehrfurcht fühlte Sophia nichts. Ein Wüten stieg in ihr hoch, vielleicht nicht laut wie Isambours Schreien und den Körper verzerrend, aber nicht minder mächtig.
    Man hatte ihr Geschick mit dem einer Frau verbunden, die ohne Geist geboren worden war. Man erhoffte von ihr, dass sie klug und sprachenkundig genug wäre, um mit den Tücken des Lebens

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