Die Chronistin
an deren Stelle zurechtzukommen, vor allem aber, dass sie vor König Philippe diesen Wahnsinn verschleiere und das Bündnis bewahre, das zu bekräftigen eben keine andere Königstochter mehr vorhanden war. Wenn ihr dies nicht gelänge, würde nicht nur Knuts Politik scheitern und Isambour schmählich abgewiesen, sondern sie selbst wäre für immer von einem brauchbaren Leben verbannt.
Oh, wie konnte Arnulf wagen, ihr das anzutun? Warum wurde andauernd sie vom launenhaften Schicksal bestraft?
»Sie ist eine Schwachsinnige!«, stieß sie zornig aus. »Eine Schwachsinnige, die man dem französischen König zur Gattin geben will!«
Wiewohl von Ohnmacht und Wut aufgerieben, war ihre Stimme in Gegenwart von Isambours Geschrei verlöschend leise. Dies erboste sie noch mehr als der Verlust der Hoffnung, sich an Isambours Seite einzig ihrer Chronik und der eigenen Gelehrsamkeit zu weihen. Unwirsch ging sie auf die Prinzessin los.
»Nicht!«, rief Gret dazwischen, und echte Furcht senkte sich in ihre Andacht. »Nicht! Berühr sie nicht! Wenn sie nicht eben wütet, so verhält sie sich zwar still und folgsam – ganz gleich, was rund um sie geschieht –, doch wenigen Menschen nur will sie’s gestatten, sie anzugreifen. Ich zähle dazu – und nur aus diesem Grunde darf ich ihr dienen und selbst auf dem Weg nach Frankreich bei ihr bleiben. Ein falscher Griff von dir, und ihr Schreien tönt noch entsetzlicher.«
Die zwei dänischen Weiber duckten sich willfährig, bekundend, dass sie sich an diese Warnung stets gehalten hatten.
Sophia aber hielt nichts auf. War denn ihr Wohl an eine Wahnsinnige gekettet, so musste sie jene bezwingen und den eigenen Regeln unterwerfen.
Sie packte die Prinzessin am dünnen Arm; sie schüttelte sie noch stärker, als das Zucken ausfiel, welches der geschundene Leib hervorbrachte; sie schrie ihr ins grimassenhafte Gesicht.
»Ich bin Ragnhild von Eistersheim, welche man auch Sophia nennt«, bekundete sie ohne jegliche Geduld. »Ich habe mich einzig an Euch ketten lassen, weil mir ein gelehrsames, beschauliches Leben versprochen ward. Denkt nicht, ich werde einer Irren erlauben, mir dieses zu zerstören und mich in die Hölle der Dummen hinabzuziehen. Hört auf! Hört auf! Hört sofort mit diesem entsetzlichen Schreien auf!«
Anno Domini 1245
Damenstift zu Corbeil
Die Erinnerung an den Tumult begleitete Roesia bis in die dunklen Abendstunden. Betend kniete sie in ihrer Zelle, wohin sie sich nach den lauten Ereignissen zurückgezogen hatte, aber sie vermochte ihre Gedanken nicht auf den gekreuzigten und auferstandenen Erlöser einzustimmen. Die keifenden Worte hallten in ihren Ohren und schmeckten nach jenem Widerwillen, der sie einst im Damenstift einen friedvollen Ort hatte sehen lassen und nicht etwa ein Gefängnis wie manche der anderen Schwestern: Sie verabscheute das Gekläff einer aus den Fugen geratenen Welt. Sie wollte Ruhe finden!
Doch nun war es geschehen, dass Schwester Eloïse die alte Sœur Clarisse–Cathérine des Teufelspaktes bezichtigte, jene sich darauf verbat, an diese Jugendsünde erinnert zu werden (die zum einen einem ganz anderen Zwecke diente, als im Streit mit der Mutter die Stärkere zu sein, und die zum anderen längst bereut und abgebüßt worden war), und sich die übrigen Schwestern in zwei Lager teilten, wovon das eine Eloïse der üblen Nachrede bezichtigte, das andere hingegen seine ganze Häme über Cathérine ausbreitete. Jene sprach fuchtelnd und mit zitterndem Doppelkinn und ließ sich auch von Äbtissin Roesia so lange nicht beschwichtigen, bis sie ihr ganzes Leben aufgerollt und es als großteils gottesfürchtiges belegt hatte.
Dann hatte sie sich wütend umgedreht und den Speisesaal verlassen, einer Heimsuchung gleich, die zwar nun endlich vorübergeht, aber zerstörten Boden hinterlässt. Ihr Weggang nämlich nützte wenig. Wildes Gekreisch sprengte in verschiedene Richtungen – die einen diskutierten die Vorwürfe Eloïses und Cathérines Verteidigung, die anderen kehrten zum schrecklichen Fund der Chronistin zurück und erfragten die Ursache von deren Tod, die dritten schließlich führten all die Unruhe auf das Wirken des Teufels zurück – kein Wunder, wo Sœur Eloïse doch dessen Namen heraufbeschworen hatte.
Roesia war geneigt, ihr das übel zu nehmen. Zugleich, und auch das ging ihr durch den Kopf, als sie die aufgeregten Schwestern toben hörte, erkannte sie, was Sœur Eloïse vielleicht mit ihrer Anklage bezweckt hatte, nämlich die
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