Die Chronistin
er Isambours und ihr Los nicht mit der gleichen Festigkeit auffangen könnte wie den schwankenden Weinkelch.
Doch dann schien ihr, als würde sich Philippes maskenhaftes Gesicht aufhellen und er sich von Guérin das beherrschte Wesen leihen.
Es wird alles gut, versuchte sich Sophia zu sagen, es wird alles gut; er wird sich abfinden, dass er zum Zwecke dieses Bündnisses mit einer Schwachsinnigen zu leben hat.
Rasch senkte sie den Kopf und huschte von dem Türspalt fort. Gerne versäumte sie kaum eine Stunde später, wie nach dem König der Kämmerer den Raum betrat, und dann die Hofdamen. Ganz gleich, wie hochnäsig sie sich gestern gegeben hatten – heute mussten sie sich doch herablassen, Isambour in königliche Gewänder zu kleiden, die zum Zwecke der Krönung bereit lagen: ein Hemd aus feinem, weißen Stoff, das mit Goldfäden zugeschnürt wurde; ein grünes Seidenkleid, dessen Oberteil eng anlag und dessen faltenreicher Rock mit Borten geschmückt war; ein kostbarer Gürtel, der mit Silber und Gold beschlagen war, und schließlich ein Umhang in Purpur, der am Rande mit braunem Zobel verbrämt war.
Aufseufzend sank Sophia neben die schlafende Gret und lauschte, ob Isambour ob des Mangels an vertrauten Gesichtern erneut zu schreien begänne. Der einzige Laut, den sie jedoch vernahm, war Grets Schnarchen. Es verstärkte sich und riss dann jählings ab, als sie erwachte.
»Was ist geschehen?«, fragte sie schlaftrunken.
»Du hast zu viel Wein getrunken«, erklärte Sophia schlicht.
»Du hast mir den Kelch gereicht!«, stieß Gret aus, zum ersten Mal nicht ehrfürchtig, sondern misstrauisch. »Wo ist Isambour?«
»Sie verlässt soeben das königliche Gemach – und wird bald zu Frankreichs Königin gekrönt. Mach dir keine Sorgen.«
Unsicher rückte Gret ein wenig von ihr ab. »Und in der Nacht? Was geschah in der Nacht?«
»Der König ist ihr Gatte«, erklärte Sophia grob, » – er kann mit ihr machen, was er will.«
»Aber...«
»Du musst dir keine Sorgen machen. Es geht ihr gut.«
Mit den unwirschen Worten schnitt Sophia jede Rede ab. Sie wollte nichts erzählen, nur endlich kurz die Augen schließen, und später vielleicht in ihrer Chronik berichten, dass Isambour nun Frankreichs Königin war. Nichts weiter. Mehr als dieses zählte nicht.
Sie nickte ein – ein kurzer, schwarzer, traumloser Moment. Als sie die Augen wieder öffnete, hockte Gret noch immer neben ihr. Draußen vom Hof aber ertönte ohrenbetäubender Lärm.
Die dänischen Gefolgsleute rüsteten sich zum Aufbruch. Notdürftig hatten sie ihre Habe gepackt und sattelten die Pferde – stets hinter die Schultern lugend, als sei dort der Teufel zu erwarten, der die Verfolgung aufnähme.
Als Sophia zu den Zwillingen aus Roskilde, Eski und Thöger, hastete, kam sie beinahe ins Stolpern. Der Schlamm des Vortags war getrocknet und der Boden darob so uneben, als hätten sich die dürren Wurzeln eines gefällten Baumes darüber gelegt.
»Lieber Himmel! Was ist passiert, dass Ihr schon aufbrecht?«, rief sie noch im Laufen.
»Wir müssen eiligst fort – sonst zwingt uns der König, Isambour mitzunehmen!«
»Aber...«
»Oh, es ist Schreckliches geschehen während der Krönung!«
Eski war nicht zum Reden bereit – Thöger jedoch, der auch ansonsten zur Schwatzsucht neigte, fügte eine erklärende Geschichte hinzu.
»Oh ja, gewiss, alle verdorbenen Mächte dieser Welt scheinen sich gegen uns verschworen zu haben. Dabei begann es, wie es vorgesehen war. Am Kirchenportal wurde das Paar vom Bischof von Reims erwartet, welcher segnende Worte sprach und sich für Philippes hohes Amt Gottes Kraft erbat. Im Rund standen die Bischöfe von Amiens, Arras, Tournai und Cambrai daneben... Ach, du lieber Himmel, dort hinten kommen die Männer des Königs, gewiss wollen sie uns aufhalten...«
»Sie können uns nicht einsperren!«, meldete sich der Priester Abel Erlandsen zu Wort – griesgrämig und zugleich ruhiger als die beiden Jungen. »Wir sind nicht die Lakaien des französischen Königs, sondern Dänen. Und obendrein Gesandte unseres Königs Knut!«
»Jener aber wird gar nicht erfreut sein, wenn er hört...«
»Was ist denn nun geschehen?«, rief Sophia aufgeregt dazwischen.
Die Zwillinge vertieften sich darein, den Pferden das Saumzeug umzulegen.
Abel Erlandsen hingegen zuckte nachdenklich mit den Schultern und nahm die Geschichte, die Thöger begonnen hatte, auf. »Die Bischöfe nehmen das Königspaar in Empfang«, sprach er mit
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