Die Chronistin
brauen.«
Sophia sog hörbar den Atem ein und erinnerte sich dunkel daran, dass Irmingard und Cordelis ihr von Menschen erzählt hatten, die den Saft des Ewigen Lebens zu destillieren suchten, was – ganz gleich, ob es jemals gelingen sollte – immer eine Sünde gegen den Allmächtigen wäre, der der einzige Herr über dieses Leben sei. Zwar gäbe es noch gefährlicheren Aberglauben als jenen der Alchimisten – dennoch sei ihr Tun des Teufels.
»Und die merkwürdigen Laute...«, setzte sie erbleichend an.
In Isidoras verbliebenem Auge glänzte Hohn.
»Er versucht den bösen Dämon Shabriri zu vernichten – und solches gelingt nur, wenn man Silbe um Silbe von dessen Namen auslöscht. Manches von dem, was er treibt, habe ich selbst ihm empfohlen – ich bin mancher Zauberkunst mächtig... Ihr aber dürft damit nichts zu tun haben. In keiner dieser Kammern habt Ihr etwas verloren!«
Sophia zögerte und blickte auf die vielen Türen, die verschlossen waren. Destillierte Bertrand Pflanzen, um »scharfe Wasser« zu gewinnen, von denen man sagte, sie seien Voraussetzung für das Lebenselixier? Übte er sich auch in solch einfachen Experimenten, wie es manche der dreisten Nonnen ausprobierten, indem sie den Psalter aufschlugen, die Worte »Iustus es, domnes, et rectum iudicium tuum« murmelten? Davon erhofften sich jene, in einem Urteil bestätigt zu werden oder Antwort auf lang gestellte Fragen zu finden.
»Ich will nichts mit Hexerei zu tun haben«, erklärte Sophia schnell und stur, »jedoch will ich die Bücher lesen, die sich in Bertrands Besitz befinden.«
Isidora kniff das eine heile Auge zusammen. Als sie beschwörend die Hände hob, glich sie einer flatternden Krähe, und krächzend wie eine solche geriet auch ihre Stimme, indessen sie auf eine bestimmte Türe deutete.
»Ich verschaffe Euch Zugang zur Bibliothek. Jedoch dürft Ihr die anderen Kammern in diesem Stockwerk nicht betreten. Schwört es mir heute und hier, dass Ihr es nie versuchen werdet. Wenn Ihr zuwider handelt, so bringt Ihr größtes Unheil und Verderben über dieses Haus!«
Aus der Chronik
Nicht lange nach dem schmählichen Ende von Philippes Ehe wurde Richard von England freigelassen und schwor bittere Rache. All die schutzlosen Lande, die Philippe ihm gestohlen hatte – das Loiretal, das Vexin und die Normandie – , wollte er zurückgewinnen.
Grausam waren die Schlachten, blutig und reich an Opfern. Nachdem Philippe über ein ganzes fahr lang das Kriegsglück gelacht hatte, folgte nun Niederlage um Niederlage. Die hochtrabenden Pläne von einst – gemeinsam mit König Knut von Dänemark die englische Insel zu besetzen – waren längst aufgegeben. Nun musste er obendrein die wichtigen Burgen Loches, Mamers, Alençon und Rouen aufgeben.
Manch einer brachte ob so viel Unglücks Isambours Namen in das Spiel. Wiewohl Papst Coelestin der Eheannullierung keine Steine in den Weg legte, fragte sich das abergläubische Volk, ob nicht deren Fluch auf dem verlustreichen König lastete. Wie anders konnte man sich erklären, dass er bei Fréteval fast in Gefangenschaft von Richard geriet und nur mit knapper Not fliehen konnte?
Nachdem Frankreich beinahe ausgeblutet war, schloss Philippe im Januar 1196 einen bitteren Waffenstillstand. Nie war er weiter entfernt von seinem Ziele, Frankreich groß zu machen.
Um weitere Kriege führen zu können, musste er erst wieder Geld in die Staatstruhe füllen. In dieser Zeit reifte die Idee, erneut auf Brautschau zu gehen. Manch eine kaiserliche, königliche oder herzogliche Familie wies ihn ab – Isambours düsteres Geschick erschreckte.
Nur Berthold von Meran, der reich war, jedoch von niedrigem Adelsrang, nutzte die Möglichkeit, seiner Tochter Agnèse eine glänzende Zukunft zu bescheren. Das Mädchen, mit dem einfachen, bäuerlichen Gesicht, das einem rosa Äpfelchen glich, nahm Isambours Rang ein und wurde Frankreichs neue Königin.
Knut von Dänemark im hohen Norden tobte über das Schicksal der entehrten Schwester. Freilich mochte er nichts dagegen ausrichten, dass Philippes neues Weib alsbald schwanger ging und ihm als zweiten Sohn nach dem Dauphin Louis den kleinen Philippe-Huperel schenkte.
In jenen Jahren, die gemächlich fortschritten, hockte Sophia meist in ihrem Gemach, dessen Fenster mit schweren Gittern so sehr verdunkelt war, dass man nur wenig von draußen sehen konnte. Gefiltert wie das Licht war, was sie vernahm und was sie aufschrieb. Die Erinnerung an Isambour, wie sie sich an
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