Die Chronistin
Richard von England, welchen sie Löwenherz nannten, war gestorben, sondern desgleichen Kaiser Heinrich. Sein Sohn galt als zu klein, um ihn zu beerben, und darum wurde sein Bruder Philipp von Schwaben bestimmt, ihm nachzufolgen. Dieser aber zählte zum Geschlecht der Staufer – und einen solchen wollten die nicht minder mächtigen Welfen nicht über sich haben. Sie stellten einen eigenen Kandidaten auf, Otto von Braunschweig, und seitdem waren die deutschen Fürsten in zwei Parteien zerrissen. Über Monate währte ihr Streit, wer denn nun zum Kaiser gekrönt werden solle.
Dies kam dem Papst eben recht. Wenn sie keine Einigung erreichten, so drohte er, würde eben er – Gottes Stellvertreter auf Erden – über den Thronstreit bestimmen.
Jener freilich betraf nicht nur die deutschen Lande, sondern auch Frankreich und das Angevinische Reich – das eine war mit den Staufern im Bündnis, das andere mit den Welfen. Ein jeder konnte sich wohl vorstellen, was passieren würde, wenn Papst Innozenz sich für den Welfen entscheiden würde! Nein, nicht mit offenen Worten sollte das geschehen – noch nicht –, vielmehr, indem er Frankreich, das kleine, arme, kriegsgeschüttelte und schließlich weifenfeindliche Frankreich vor aller Welt demütigte. Um aber dies zu erreichen, um König Philippe und damit ganz Europa zu beweisen, wie groß, ja über jegliche weltliche Macht hinausreichend die des Nachfolgers Petri wäre, besann sich der Papst auf Isambour von Dänemark.
Die Annullierung der Ehe sei ungültig, die neue Königin Agnèse eine illegitime. Dies behauptete der päpstliche Legat Petrus von Capua, der in Innozenz’ Auftrag nach Paris gekommen war.
Nein, widersprach König Philippe, so ist es nicht; die französischen Bischöfe haben die Ehe aufgelöst.
Und dafür nicht die Macht gehabt, erklärte Petrus von Capua. Einzig der Papst könne das – aber der Papst wolle das nicht. Würde Philippe sich nicht bis Weihnachten fügen, Isambour wieder als rechtmäßige Gattin annehmen und Agnèse verstoßen, so würde er über das ganze Land den Kirchenbann aussprechen.
Die Menschen tuschelten, dass Frankreich am Abgrund stünde, dem Verderben preisgegeben, wenn erst die Priester nicht mehr ihre Arbeit tun dürften. Keine Messen würden dann gelesen, die Kinder ungetauft bleiben und die Verstorbenen den Fängen der teuflischen Engel preisgegeben.
Trotzdem der gleißende Sommer von schweren Gedanken und Befürchtungen verdüstert war, deuchten Sophia die Zeiten erregend. Das geruhsame Lesen blieb ihr verwehrt – jedoch wagte Bertrand nicht einzuschreiten, wenn sie das Haus verließ, um Frère Guérin zu besuchen. Indessen sich der König wortkarg in seine Jagdschlösser bei Fontainebleau oder Vincennes zurückzog, kämpfte jener erbittert gegen den drohenden Fluch.
In Frère Guérins Auftrag schrieb Sophia Briefe an den dänischen König Knut und an den Papst. Sie nützte den Umstand, dass sie zwei Namen hatte: Als Sophie de Guscelin war sie im Prozess, der die Ehe für nichtig erklärt hatte, gegen Isambour aufgetreten; als Ragnhild von Eistersheim gab sie sich jedoch als eine aus, die immer noch an der Seite der dänischen Prinzessin in Cysoing verharrte und deren Leben aus nächster Nähe bezeugte.
»Denn es ist so«, hatte Frère Guérin ihr den aberwitzigen Plan erklärt, »alle dänischen Gefolgsleute sind von Amiens abgereist, noch ehe Ihr Isambour der Zauberei bezichtigt habt. Sie konnten nicht ahnen, dass Ihr Euch gegen sie stellen würdet – und haben es darum auch nicht ihrem König berichtet. Was sollte Knut von Dänemark darum anderes denken, als dass Ihr seiner Schwester immer noch treue Dienste leistet? Wer könnte dies berichtigen, wenn nicht Isambour selbst, aber jene beherrscht die Sprache nicht. Oder Gret, die sich freilich weigert, in meinem Auftrag den hohen Herren zu schreiben?«
So entstanden Brief um Brief, die sowohl im nördlichen Roskilde als auch im südlichen Rom nur eine Botschaft zu verkünden hatten: Isambour erginge es wohl; sie selbst wünsche nichts anderes als das Klosterleben; mit dem König habe sie längst abgeschlossen – zumal die Ehe nie vollzogen worden wäre.
Manchmal, wenn sie schrieb, wähnte Sophia sich schuldig und den Verrat von einst grässlich übertroffen durch diese neue Untat. Denn diesmal musste sie nicht nur darüber nachsinnen, sondern ihn stets aufs Neue lesen.
»Denkt Ihr«, begann sie eines Tages unwillkürlich, als sie erneut ihren Namen unter einen
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