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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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schon hatten sie den Raum erreicht, wo Frère Guérin sein Tagwerk verrichtete und Gäste empfing. Er war nicht minder schlicht und ärmlich als der restliche Palast.
    Auf dem Fußboden lagen keine warmen Teppiche, Felle oder Leder, sondern es waren nur Fliesen verlegt. Schüsseln und Wasserkannen, die zum Händewaschen bereitstanden, waren aus Zinn anstelle von Silber. Die Fenster waren mit Holzbalken zugenagelt, anstatt mit geölter Leinwand oder dünn gegerbter Haut ausgespannt zu sein und einen verschwommenen Blick ins Freie zu gestatten. Gänzlich ohne Schnitzereien waren die beiden Holztruhen neben dem Tisch.
    Hinter jenem hockte Frère Guérin, stand hastig auf, als sie eintrat, und erlaubte ihr nicht länger, über die einfache Einrichtung nachzusinnen.
    Den Irrtum, den der Mann, der sie empfangen hatte, offenbar begangen, musste sie gar nicht erst aufklären. Frère Guérins scharfe Augen weiteten sich, kaum dass er sie erblickte, und nicht ohne Enttäuschung rief er aus: »Ihr seid es?«
    Der Klang seiner Stimme holte ihr Erinnerungen zurück, die ihr nicht lieb waren – an die Wochen mit Isambour, als nichts anderes zählte, als ihren Schwachsinn zu verbergen, an die grässliche Hochzeitsnacht und die aufgeregten Stunden danach, an den Verrat, den sie verübt hatte, um sich ein würdiges Leben zu erkaufen. Sie gedachte auch Grets Fluch – und fragte sich, ob er womöglich in Erfüllung gegangen war, nun, da Bertrand sich als so störrisch und streng erwies.
    »Ich brauche Eure Hilfe«, setzte sie an, »der Gatte, den Ihr mir gabt, will sich nicht an das halten, was Ihr mir versprochen habt. Nicht länger gewährt er mir ein Leben, das der Gelehrsamkeit geweiht ist. Dies nun aber war unser Geschäft: Dass ich ein solches bekäme zum Preis, dass ich Isambour der Zauberei bezichtige. Wenn nun aber...«
    Die Überraschung lag anfangs unverborgen in Frère Guérins Gesicht.
    Dann aber, als ihm gelang, sich wieder zu sammeln, durchbrach er ihre Rede nicht mit üblicher Beherrschung, sondern voll Ungeduld und lautstarkem Ärger: »Ich kann Euch hier nicht brauchen! Ich habe die dänische Frau erwartet, welche Gret hieß!«
    »Gret?«, fragte Sophia erstaunt und vergaß das eigene Anliegen. »Was könnt Ihr von ihr wollen, wenn sie doch schon seit Jahren bei Isambour im Kloster zu Cysoing hockt – und jener gewiss nicht zur Seite weicht? Während die eine ins Leere glotzt, wird der dumme Blick der anderen sie ehrfürchtig begaffen, und...«
    »Ich fordere sie seit Wochen zur Unterredung auf. Wer sonst, wenn nicht sie, könnte vor dem dänischen König und auch dem Papst bezeugen, dass es Isambour gut ergeht und dass sie gar nichts anderes wünscht, als den Rest ihres Lebens im Kloster zu verbleiben? Oh, das Wort einer treuen Gefährtin würde zählen – und nicht nur Dummköpfen wie Etienne von Noyon das Vorrecht geben, sich für die verstoßene Königin stark zu machen. Schon fühlt er sich als zweiter Thomas Becket, der Erzbischof von Canterbury, der einst König Henri von England die Stirn bot, von dessen Rittern ermordet wurde und solcherart zum Märtyrer geadelt noch von seinem Grab aus Blinde sehen und Lahme gehen ließ. Nichts lässt er unversucht, hervorzustreichen, dass Isambour fast solches wie eine Märtyrerin sei, eine gottgefällige, fromme Frau nämlich, die demütig unter dem sündigen Gatten zu leiden hat. Schon heißt’s, dass manche angekrochen kommen, um vor dem Kloster wartend ihren gnadenvollen Anblick zu erhaschen. Widerwärtiges Geschäft! Und Etienne von Noyon hat keinen Sinn für die entsetzlichen Folgen, die sein Tun in Wahrheit zeitigt.«
    Sophia verstand nicht, wovon er sprach. Ihr anfängliches Erstaunen über seine verwirrenden Worte verflüchtigte sich aber rasch.
    »Sei’s darum«, erklärte sie, »ich bin hier, um mein Anliegen zu besprechen, und solches lautet...«
    »Ihr wagt es, mich zu stören?«, brüllte er jäh in ihre Rede hinein. Sie zuckte zusammen. »Ihr wagt es, mich mit Nichtigkeiten aufzuhalten?«
    Gerade weil sie nicht zu seinem üblichen Verhalten zählte, lag in seiner Unbeherrschtheit eine verstörende Kraft.
    »Aber...«, entrang es sich ihr, ehe sie verstummte.
    »Ich kann mich nicht einmal Eures Namens entsinnen...«
    »Sophia.«
    »... und wie er auch immer lauten mag: Ich habe Euch, wenn ich mich recht erinnere, zu Mitgift und einem Gatten verholfen und somit zu mehr, als einem Weibe wie Euch gebührt. Wisst Ihr denn nicht, was in diesen Tagen vor sich

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