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Die Chronistin

Die Chronistin

Titel: Die Chronistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Brief setzte, »dass es Unrecht ist, was ich tue? Denkt Ihr, meine Sünde ist verzeihlich – nicht nur die heutige, auch jene von einst, als ich der Welt erklärte, Isambour sei von Dämonen besessen? Wir wissen beide, dass dies nicht wahr ist.«
    Frère Guérin war hinter der Schreibenden auf und ab gegangen. Jetzt hielt er inne.
    »Warum nicht?«, gab er ruhig zurück, »Ihr habt mir erzählt, sie sei schwachsinnig – wer anders aber könnte dies bewirken als der Teufel?«
    »Ich habe davon reden gehört... hier im Palast und in den Straßen von Paris, dass Gegenteiliges der Fall sei – dass Isambour eine Heilige sei und der König zu Unrecht gegen sie wüte...«
    »Gott gebe, diese Idioten von Pfaffen würden das Maul halten, anstatt unterwürfig dem Papst zu dienen und solcherart Unruhe zu stiften. Das kann ich nicht brauchen.«
    »Gewiss!«, beharrte Sophia. »Seitdem Ihr entschieden habt, dem König nicht länger zu widersprechen, als jener die Ehe lösen wollte, tretet Ihr für ihn ein – weil solches Euch den größten Nutzen bringt. Und ich tu Gleiches, weil ich mir nicht anders ein solches Leben hätte erkaufen können. Und doch – es wäre Euch lieber, könntet Ihr auf das verzichten, was wir hier tun – und mir auch.«
    Kurz gab er vor, er hätte ihre Worte nicht gehört – zu vertraulich deuchten sie ihn, zu persönlich. Doch gerade weil er seinen Blick vor ihrem fordernden verbarg, entwich ihm die Beherrschung seiner Mimik, und sein Mund verzog sich jäh zu einem Lächeln – spöttisch und schmerzlich.
    »Manchmal muss man Dinge tun, die man hasst«, bekannte er.
    Sie wollte nicht weiter in ihn dringen, doch nun begann er unwillkürlich die Geschichte zu erzählen, wie er des Königs engster Berater wurde.
    Geboren ward er einst als dritter Sohn. Ihm stand es frei, als Geistlicher zu enden oder als Ritter. Zweiteres strebte er lange an, doch wurde er schon als kleiner Junge verhöhnt, dass er alles wagte – auch zu raufen und mit spitzen Steinen zu werfen –, jedoch nicht, auf einen Pferderücken zu steigen. Die großen Tiere machten ihm Angst, und, mehr noch als das, begann er sie zu hassen, weil sie ihn stets aufs Neue an diese Willensschwäche gemahnten. Er wurde Hospitalitermönch und fand das Klosterleben bald zu ruhig. Dann aber geschah’s, dass sich die Geistlichkeit in ganz Frankreich zusammenrottete, denn in Reims sollte Anno Domini 1179 der junge Philippe gekrönt werden. Im Gefolge eines Bischofs wollte auch Frère Guérin um das Seelenheil des künftigen Königs beten, doch kurz vor Marien Himmelfahrt und desgleichen kurz vor der Krönung wünschte der künftige König, im Wald von Compiègne noch ein Wildschwein zu erlegen. Er traf das Tier, doch als es grunzte, scheute das Pferd und floh mitsamt Philippe auf seinem Rücken. Man fand ihn auch nach tagelanger Suche nicht; er irrte zwischen finsteren Bäumen, die ihre kargen Äste wie Fänge nach ihm streckten, und fürchtete sich zu Tode – niemals, so vermeinte er, würde er das Sonnenlicht wiedersehen. Bei seinen Ergebenen indes ging alles durcheinander – man suchte den König, aber ohne Ordnung und Planung, und Frère Guérin, sicher, dass man Philippe schon längst gefunden hätte, wäre es an ihm, Befehle zu geben und die Suche zu leiten, tat, was er stets gehasst hatte. Er setzte sich auf einen Pferderücken, stob mit nur wenigen Begleitern gezielt durch Wald und Gebüsch und stieß auf den König, welcher zitterte und heulte. Er hatte nicht nur gut daran getan, sich an der Suche zu beteiligen. Am allermeisten dankte ihm Philippe, dass Guérin die Welt belog, indem er nicht über den feigen, schluchzenden König spottete, sondern einen mutigen rühmte, dem auch zwei Tage im finstern Wald ohne Essen und Trinken nichts hatten anhaben können.
    Es war kurz still, nachdem er geendigt hatte.
    »Will man erreichen, wozu man bestimmt ist, muss man manches Mal die Widerstände abschütteln, die im eigenen Wesen wuchern«, schloss er.
    »So seid Ihr also von Beginn an daran gewöhnt, zugunsten des Königs zu lügen«, murmelte sie – von seiner langen, vertraulichen Rede verwirrt gestimmt.
    »Nein – nicht zugunsten des Königs. Zu meinen Gunsten, denn nur solcherart wurde ich sein engster Vertrauter und kann es bis heute bleiben.« Ein Ruck ging durch den Körper, als wolle er die jähe Offenheit, zu der er sich hatte hinreißen lassen, zwanghaft abschütteln.
    »Aber nun lasst uns weiterschreiben. Königin Isambour verbringt

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